Ganz Europa wird aussteigen

Österreichs Umweltministerin Marilies Flemming zur Position ihrer Regierung  ■ I N T E R V I E W

taz: Frau Ministerin, da es sich nicht um einen völkerrechtlichen Einspruch der Republik Österreich handelt: In welcher Funktion haben Sie hier Einspruch erhoben? Als Privatperson oder als Ministerin für Umwelt, Jugend und Familie?

Marilies Flemming: Ich bin hier im Rahmen meiner Ministertätigkeit, um private Rechte der Republik Österreich zu vertreten.

Franz Josef Strauß, Vorsitzender einer Schwesterpartei der ÖVP, hat in einer Rede auf dem letzten CDU-Parteitag in Wiesbaden Atomkraftgegner als „Ignoranten“ und „Heuchler“ bezeichnet. In Ihrer Rede heute haben Sie einen moralischen Appell gegen die Atomenergie gehalten.

Sind jetzt Sie und 400.000 ÖsterreicherInnen, die Einspruch erhoben haben, „Ignoranten und Heuchler“?

Wenn ich im September die Möglichkeit habe, Herrn Strauß kennenzulernen, werde ich ihn davon überzeugen, daß dem nicht so ist. Ich glaube, daß Österreich die moralische Berechtigung hat, sich gegen Anlagen wie die WAA auszusprechen, weil wir bereits im Jahr 1978 der Atomenergie zur Energiegewinnung abgeschworen haben. Und weil wir ganz einfach glauben, daß die Atomenergie nicht die Energie der Zukunft ist.

Welche Bedeutung messen Sie Ihrem heutigen Einspruch bei?

Das österreichische AKW Zwentendorf haben wir auch nicht von heute auf morgen verhindert, das hat sehr lange gedauert. Ich glaube, daß wir heute hier ein historisches Zeichen gesetzt haben. Heute hat erstmals ein Minister eines befreundeten benachbarten Landes in einem anderen Staat Einwendungen erheben dürfen, und dafür muß man auch dankbar sein.

Die österreichische Regierung hat nur Sie als Person Einwendungen machen lassen. Es scheint, als ob Ihr Bundeskanzler Vranitzky sich nicht den außenpolitischen Spielraum für einen EG-Beitritt Österreichs durch einen offiziellen Einspruch einschränken möchte.

Keineswegs. Es gibt auch EG-Staaten, die keine Atomenergie haben. Es geht darum: Sollten wir mit unseren Einwendungen keinen Erfolg haben, dann soll das Völkerrechtssubjekt Österreich noch immer die Möglichkeit haben, auf dem Verhandlungsweg mit dem Völkerrechtssubjekt BRD weiterhin Verhandlungen zu führen: Was nicht möglich wäre, wenn sich hier Österreich diesem Verfahren unterwerfen würde.

Würden Sie den Verantwortlichen in der BRD empfehlen, so wie in Österreich 1978 eine Abstimmung über Atomenergie abzuhalten?

Ich glaube, daß alle europäischen Staaten aus der Atomenergie aussteigen werden. Eine Abstimmung wäre ein sehr demokratischer Weg.

Interview: Oliver Lehmann