Hessen: Der Diäten-Präsident geht

Parlamentspräsident Lengemann beugte sich gestern dem Druck der Öffentlichkeit und trat zurück Regierungschef Wallmann sieht wegen der Diäten schweren Schaden für die Parteien (nicht für die Grünen)  ■  Aus Wiesbaden Reinhard Mohr

Seltener Fall in unserer Demokratie: Ein führender CDU -Politiker mußte sich dem Druck der Öffentlichkeit beugen. Der hessische Landtagspräsident Jochen Lengemann, einer der Erfinder des Selbstbedienungs-Diäten-Gesetzes für die Abgeordneten in Wiesbaden, hat gestern das Handtuch geworfen. Damit folgte er mit dreitägiger Verspätung seinem Vizepräsidenten. Erwin Lang von der SPD hatte schon Dienstag aus dem Diätendebakel die Konsequenzen gezogen. Weil er jede weitere „Belastung für CDU, FDP und das Parlament“ vermeiden wolle, so Lengemann am Freitag, trete er von seinem Amt zurück. Alle Vorwürfe von Grünen, dem Bund der Steuerzahler und Teilen der SPD wegen seiner Rolle im Wiesbadener „Diätenskandal“ wies er allerdings zurück. Der CDU-Fraktion dankte er für die „Treue“, in der sie zu ihm gestanden habe, in deren Mitte wolle er nun zurückkehren. Für Fragen stand er jedoch nicht zur Verfügung.

Bevor die zahlreich anwesenden Journalisten fragen konnten, was den plötzlichen Sinneswandel bewirkt habe - am Vorabend hatte ein Gespräch mit Regierungschef Wallmann und dem CDU -Fraktionsvorsitzenden Nassauer stattgefunden -, war Lengemann schon verschwunden. Ministerpräsident Wallmann mußte in die Bresche springen. Nur kurz ging er auf die „persönliche Entscheidung“ seines „Freundes“ ein. Daß Lengemann entscheidend daran mitgewirkt hatte, maßgeschneiderte und diskret formulierte Pensionsregelungen für die hessischen Abgeordneten und die Parlaments Fortsetzung Seite 2

spitze auszuarbeiten, dazu sagte Wallmann nichts. Sein dreiviertelstündiger Vortrag über das Verhältnis von Diäten und Demokratie machte deutlich, in welches Zwielicht Lengemann sich selbst und die CDU gebracht hat. Wenn sich die Abgeordneten eine Einkommenserhöhung von 25 Prozent genehmigten und die „Bürger draußen“ mit drei oder vier Prozent zufrieden sein müßten, dann sei dies „nicht mehr zu vermitteln“, meinte Wallmann: „Die Diätenregelung ist zur Belastung aller politischen Parteien geworden.“ Die Grünen vergaß er dabei, denn die hatten das im Februar 1988 durch den Landtag gepeitschte „Diätengesetz“ abgelehnt. Nun fordern sie seine sofortige Aufhebung. Wallmann mochte „keine Schuldzuweisungen im einzelnen“ betreiben, er demonstrierte geübte Nachdenklichkeit: „Das Vertrauen der Bürger zu den Politikern bröckelt weg, die Parteiverdrossenheit nimmt zu - das gilt für alle Parteien.“ Wallmann bot zwei Konsequenzen an: Die Diäten der hessischen Abgeordneten sollen eingefroren bis ein neues Gesetz formuliert ist. Wallmann schlug vor der Presse in Wiesbaden vor, die Abgeordneten sollten auf die bis 1991 vorgesehene Steigerung der Diäten um jährlich 500 Mark von jetzt 6.500 auf dann 8.000 Mark verzichten.

Die Grundentschädigung solle bei 6.500 Mark eingefroren werden. Die Unkostenpauschale, die bis zur Gesetzesnovelle im Februar zwischen 3.500 Mark und 4.500 Mark lag, solle um 250 Mark angehoben werden. Damit würde die im umstrittenen neuen Gesetz festgelegte Anhebung auf 4.000 bis 5.400 Mark entfallen. Wallmann räumte ein, daß er diese Vorschläge ohne die Reaktionen in der Öffentlichkeit nicht gemacht hätte.

Zweite Konsequenz: Einsetzung einer CDU-Kommission zur Parlamentarismuskritik. Fragen nach einer Sondersitzung des Landtags und nach dem Nachfolger im Präsidentenamt ließ Wallmann unbeantwortet. Joschka Fischer, Fraktionsvorsitzender der Grünen, kündigte eine Feststellungsklage beim Bundesverfassungsgericht an, um die Verfassungsmäßigkeit des immer noch geltenden Abgeordnetengesetzes zu überprüfen.