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Lehrreiches Elend: III. Welt in III nach neun

■ Radio-Bremen-Talkshow als erwachsenenpädagogische Veranstaltung zur Frage: Warum ist die Dritte Welt so arm? / Vor der Tagung des Internationalen Währungsfonds gab's bei beim Lernen nichts zu lachen

Wer öffentlich über Ausbeutung, Hunger und Elend in der 3. Welt redet, kann weder mit einem interessierten noch mit einem informierten Publikum rechnen. Schon gar nicht in einer Freitagabend-Fernseh-Talkshow, wenn gutgelaunte Biertrinker und Erdnußknabberer mit dem Druck auf die Fernbedienung ihr gutes Recht auf ein bißchen aufgekratztes Wochenend-Einstimmungs-Entertainment für ihre pünktlich überwiesenen Fernsehgebühren geltend machen. Wenigstens am Wochenende werden wir doch noch das Recht auf einen hungerkatastrophen-, negerkinder- und elendfreien Bildschirm haben und uns ein paar aus Presse, Funk und Werbung bekannte, gutgenährte und blaßgeschminkte Gesichter zum Familienfernsehabend in die gute Stube holen dürfen.

Michael Geyer, daheimgebliebener III-nach-neun-Moderator nutzte am letzten Freitag die Abwesenheit von Gott-und-die -Glamour-Welt-Kenner-Nudel Heidi Schüller, um solchen Erwartungen gleich von Anfang an einen pädagogisch -aufklärerischen Strich durch die Rechnung zu ma

chen: III nach neun nicht als mal mehr, mal weniger unterhaltsames Potpourri von Originalen, prominenten Absteigern und künstlerischer Karrieremachern mit Small-Talk -Blick hinter die Personality-Kulissen in Jugendsünden, Intimsphären und Lebensbeichten, sondern als Kompaktkurs über Kapitalverwertung und Kreditwesen in der 3. Welt, wie ihn Heimvolkshochschulen gern unter dem Titel „Kleine Einführung in die große Weltökonomie“ anbieten. Fürs gemeine Feierabend-Publikum gerade noch rechtzeitige Minimalausstattung, um den bevorstehenden Zeitungsberichten vom Besuch des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank folgen zu können.

Abweichend vom üblichen Prominente-Leute-sind-auch Menschen -wie-Du-und-ich-Prinzip hatte Geyer seine Gäste diesmal nach pluralen Vielfalts-Kompetenz-Kriterien ausgesucht: Den Ex -Banker und Weltwirtschafts-Experten, den Industrie-Manager mit dem ganz aufrichtig schlechten Gewissen, den entwicklungspolitischen Theoreti

ker, der dem Elend in der 3. Welt immerhin seinen Doktortitel verdankt, den kritischen Künstler mit dem Agit -Prop-Aufgabenfeld „Dritte Welt“, den kritischen Ex -Entwicklungshelfer, und natürlich eine tansanische Journalistin, deren Hautfarbe mediengerecht erstens einen Spritzer „Betroffenheit“ und zweitens schon optisch angemessene Repräsentation der Entwicklungsländer in der high-tech-Fernsehstudio-Welt demonstriert. Jede(r) gut für die offensichtlich beabsichtigte gutgemeinte Mischung von ein bißchen Information, ein bißchen Erfahrung, ein bißchen Standpunkt und ein bißchen publikumswirksamer Kontroverse.

Gemessen am Anspruch einer Podiumsrunde als Auftakt eines Wochenend-Weiterbildungsseminars für angehende Jugendzeltlager-BetreuerInnen eine gelungene Veranstaltung. Wer's noch nicht ahnte, konnte immerhin lernen, daß die 3. Welt erstens hoffnungslos bei der ersten verschuldet ist, zweitens kein Mensch mehr weiß, wie 1.000 Milliarden Schulden je zurückgezahlt werden sollen, weil drittens der

Zwang zum Export zu immer neuen Versorgungskrisen führt und es viertens zur Frage, wer denn eigentlich an dem allen schuld hat, sehr unterschiedliche Meinungen gibt: Für den Banker ist das unterentwickelte Bankwesen in der 3. Welt schuld, das zu immer neuen Auslandskrediten führt, für den entwicklunspolitischen Fachmann sind entwicklungspolitische Fehler aller Beteiligten schuld, die aber viel zu kompliziert sind, um sich in einer 70 Minuten -Sendung in gebotener Differenzierung ausführen zu lassen, dem Wirtschaftsmanager mit schlechtem Gewissen kommt sowohl in der Fernsehdiskussion im besonderen als auch in der Entwicklungspolitik im allgemeinen der Mensch zu kurz, und der kabarettistische Künstler weiß natürlich: der Kapitalismus ist an allem und schon lange am Elend der 3. Welt schuld. So liebt man die geballt geladene Einerseits -Andererseits-Bildschirm-Kompetenz: Sachkundig, ausgewogen und kritisch, so richtig zum eigene Meinung bilden.

Wer dazu allerdings am Freitagabend keine Lust mehr

hatte und sich ein paar III nach-neun-mäßige flotte Sprüche zu vorgeblich heißen Eisen erhofft hatte, hätte lieber gleich abschalten sollen. Nicht nur, weil es beim Elend der Dritten Welt eben nichts zu lachen gibt, sondern weil mit trockenem Sachverstand und zerknirschter Betroffenheit eben keine humorige Pointen-Jagd zu bewerkstelligen ist.

Nicht daß die versammelten Herrschaften im Angesicht des thematischen Elends weniger eitel gewesen wären als die üblichen Wundertüten-III-nach-neun-Gäste. Aber statt sich und ihre Selbstgefälligkeiten selbst zu präsentieren, sozusagen zum Anfassen, durften sie diesmal allenfalls mit dürr-trockenem Wissen glänzen: Kopf statt Bauch, Moral statt Glamour und dabei ging das Rennen aus wie das Verhältnis von 1. und 3. Welt im wirklichen Leben: Bei III-nach-neun gewann der Ex-Banker, der gebeten und ungebeten am besten weiß, was für die Schwarzen am besten ist, und Publikum, Moderator und Mitdiskutanten vor allem verriet, daß sie noch viel lernen müssen, um Längen vor der Anstand

schwarzen, die es mit freundlicher Unterstützung des Moderators immerhin soweit brachte, auch einmal ihre „private Meinung“ sagen zu dürfen. Unmaßgeblich natürlich, wie die Meinung der Betroffenen im richtigen internationalen Währungsfond.

K.S.

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