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Viel Mumm, viel Mut, viel Moos

■ Polo: Internationale Berliner Meisterschaften in Frohnau / Leidenschaft und Spielwut / SFB-Barckhausen auf der Suche nach einem neuen Image

Drei Tage haben wir auf dem Polo-Platz in Frohnau zugebracht. Drei Tage haben wir uns von Brillantringen, Pferdeäpfeln, verschwitzten und lädierten Reitern und teuren Limousinen inspirieren lassen. Haben mit Spielern und Zuschauern geplauscht. Und noch immer haben wir auf substanzielle Fragen keine Antworten finden können. Die wichtigsten: Warum tun die sowas? Warum setzten sich Menschen, die im Leben etwas auf die Beine gestellt haben, auf vier fremde? Warum geben Geschäftsleute - zumeist gestandene Mannsbilder - horrende Summen für Pferde und Reisen aus und riskieren manchmal Kopf und Kragen, wenn sie der Holzkugel hinterherjagen?

Ein Kollege formulierte einmal treffend: „Heute ist mir klar, daß Polospieler von allen spielwütigen Männern die spielwütigsten sind. Wenn sie genug frische Pferde hätten, würden sie von den sieben Tagen der Woche mindestens acht Tage Polo spielen.“ Das ist ein Standpunkt. Wir entdeckten noch einen anderen. Noch nie begegneten uns Sportler, die all ihre Sachen mit einer Leidenschaft erledigen, als ginge es um Tod und Teufel. Ein gutes Beispiel ist Florian Barckhausen, der als SFB-Moderator sein Brot und als Spieler -Sprecher seine Brötchen verdient. Stundenlang erklärt er Laien, daß Polo in vier Spielabschnitten je sieben Minuten über den Rasen gebracht und von einer Kuhglocke abgebrochen wird. Daß ein Bodycheck - hier heißt es vornehmer „das Abreiten“ - durchaus erlaubt und erwünscht sei. Und, daß nach jedem Tor die Seiten gewechselt würden. Jeder Spieler hätte ein persöhnliches „Handicap“, eine Zahl zwischen -2 und +10, das den Wert von Roß und Reiter widerspiegeln soll. Der Durchschnitt der vier Spieler einer Mannschaft wäre das „Team-Handicap“, und je höher das liege, desto mehr Tore müßte eine Truppe vorgeben. Barckhausen spricht im Bariton, mit Pathos und Witz, jedes Wort sorgsam gewählt. Als er schließlich persönlich ins Geschehen eingreift, glauben wir unseren Ohren nicht zu trauen. Eine Gefährten raunzt Barckhausen mit „Halt die Klappe!“ an. Einen Gegner gar mit „Arschloch“ und „Scheiß-Typ“. Bei einem Gerangel holt er sich einen blutigen Ellenbogen und bekommt schließlich noch eine Kugel auf die Nase. Und als sein Team schließlich deutlich gewinnt, wirft er den Schläger mit dem zigarrenförmigen Schlaghammer hoch in die Luft. Es ist geschafft! Was ist der Reiz des Polos? Barckhausen: „Erstmal ein Ball - schön! Dazu ein Pferd - noch schöner - dann dieser Kampf - toll! Jeder versucht seine Urängste auf seine Weise loszuwerden.“ Schnell fügt er hinzu: „Aber auch das Team ist wichtig. Da kommen Männer zusammen, im mittleren Alter, die haben etwas geleistet. Sind gewohnt Befehle zu geben. Im Team müssen sie sich unterordnen. Sich anschnauzen lassen. Hier lernt man Toleranz.“ Beim Stichwort Argentinien gerät der „unterbezahlte Redakteur“ (Barckhausen über Barckhausen) ins Schwärmen: „Jaaa“, dort werde das beste Polo gespielt, vor einem großen Publikum, richtig professionell. „Dagegen sind wir hier Dritte Welt. Höchstens.“ Warum, wollen wir wissen, seien denn die Engländer so erfolgreich? „Dessen Teams bestehen zumeist aus Offizieren der Armee. Ein Befehl des Kapitäns zeigt bei denen Wirkung. Jeder geht dann in seine Position. Wenn bei uns ein Tierarzt einem Unternehmensberater etwas zuruft, ist das eine andere Sache...“ Später im obligatorischen Vip-Zelt machen wir zwei neue Entdeckungen: Dort ein Spieler, der nach geschlagener Schlacht, völlig verschwitzt und dreckig, sich zwei Stunden lang liebevoll mit seinem Kind beschäftigt. Mit seinem Zögling auf dem Rasen spielt. Und sich dann ebenso leidenschaftlich den Getränken widmet. Hier die geladenen Gäste, die viel lieber gesehen werden, als irgendwo zuzuschauen. Den Schampus in der Hand, totes Tier verspeisend, und darauf hoffend, daß die zur Schau gestellte Hutkreation anderntags prämiert mögen werde. Barckhausen: „Wir müssen endlich von dem Image wegkommen, ein Sport der feinen Gesellschaft zu sein.“ Zivile Eintrittspreise, auch bei der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Berlin, sollen dafür sorgen, daß Polo ein Sport für möglichst viele Augen wird. Aber auch Barckhausen gibt im Vip-Zelt zu: „Hier sind Leute, die sagen: 'Tolle Veranstaltung, tolles Wetter, Prominenz, und die Pferde haben auch nicht gestört.‘ Wirklich schade.“

Wir verlassen die Szenerie und gehen in die Stallungen. Dort treffen wir jene zutraulichen, schnaubenden Wesen, die sich von Natur aus nur durch Flucht schützen können. Wir treffen die Pflegerinnen, zumeist ganz junge Mädchen, die sich Tag und Nacht um ihre „Lieblinge“ kümmern. Ihnen die Schwänze zusammenstecken und die Beine bandagieren, damit ja nichts geschehen möge. Wir treffen Reiter, die daran arbeiten, daß sich Mensch und Tier blind vertrauen können, sogar neues voneinander lernen. Zwei Reiterinnen sind dort. Sie haben den Einbruch in die Männerdomäne geschafft und mischen kräftig mit, weil Frauen, so Barckhausen, „einfach flinker sind.“ Schließlich treffen wir einen argentinischen Trainer, der die Pferde für teures Geld über den Ozean transportiert. Und nochwas lernen wir im Stall: Beim Polo heißen die Pferde Ponys.

Als wir gehen wollen, fällt mir noch eine Frage ein. „Ja, in Argentinien gibt es rund zweihundert Polo-Profis“, bekomme ich zur Antwort. In 39 Ländern der Welt gebe es an die 600 Clubs, 120 in den USA, wo Polo voll komerzialisiert ist. Was so ein Pferd kostet? „Na, an die 8.000 Mark. Und vier von denen muß man schon haben.“

Am nächsten Tag haben wir uns über die Flugpreise nach Argentinien informiert. Richtiges Polo zu sehen ist auch eine teure Angelegenheit.

Holger Schacht

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