Vielvölkerkerker Jugoslawien?

■ 8.000 Slowenen und 4.000 Serben demonstrierten am Wochenende

Berlin (taz) - Glaubt man den Teilnehmern zweier halboffizieller Demonstrationen am Wochenende in Jugoslawien, so sind zumindest die Slowenen und die Serben als Völker in ihrer Existenz bedroht. In Ljubljana gingen 8.000 Slowenen auf die Straße, um gegen den seit einer Woche laufenden Militärprozeß gegen drei 'Mladina'-Redakteure zu protestieren, die einen in der serbischen Hauptstadt Belgrad angezettelten Putschversuch vorzeitig aufgedeckt hatten. Sie forderten „Reformen für ganz Jugoslawien“ und „keine Einschränkung der Autonomierechte“, vor allem nicht auf Kosten der kleinen Völker der Föderation.

Zur gleichen Zeit skandierten jedoch im 600 km entfernten Pancevo 4.000 Serben „Ein Ende mit der Konterrevolution in Slowenien“ und „Kosovo und die Vojvodina sind serbisch“. Mit diesen Parolen wurden Hegemonialansprüche wachgerüttelt, die bereits Anfang des Jahrhunderts das Zusammenleben der Südslawen auf dem Balkan vergiftet haben und dies neuerdings im sozialistischen Gewand wieder tun: Das zahlenmäßig größte Volk Jugoslawiens träumt von einem „Großreich“ (so die slowenische Parteizeitung 'Delo‘) und klammert sich dabei an einen politischen Aufsteiger, den serbischen Parteichef Slobodan Milosevic, dem es nach eigenen Worten „nichts ausmacht, als Stalinist beschimpft zu werden bei dem Versuch, wieder sozialistische Ordnung zu schaffen“.

Milosevic hat bereits angekündigt, seine Anhänger in alle großen Städte Jugoslawiens auszusenden, um gegen die „kleinbürgerliche Willkür, die in Slowenien ihren Anfang nahm“, zu protestieren. Erste Stationen des Marsches waren Pristina (im albanisch besiedelten Kosovo) und Novi Sad und Pancevo (in der ungarischen Vojvodina). Die slowenische Parteiführung sieht mittlerweile in der Verhaftung der 'Mladina'-Journalisten einen Angriff auf die Eigenständigkeit der Slowenen.

Roland Hofwiler