: Workklau: Da passiert was
■ Gespräch mit zwei Arbeitsdieben aus dem Pott
Christof Boy
Angefangen hat es beim „Ruhrschrei„-Festival. Eine Gruppe von Arbeitslosen tat sich zusammen und klaute sich die Arbeit einfach. In Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen malten sie längst überfällige Zebrastreifen, legten Grundsteine für Kindergärten und bauten Rollstuhlrampen. Noch wird die Workklau-Bewegung von den Behörden belächelt. Das wird sich ändern, sobald sich die Idee weiter herumspricht und größere Aktionen in Angriff genommen werden. Sevgi, einst arbeitslose Erzieherin und heute Sängerin in einer deutsch-türkischen Band, und Wolfgang, arbeitsloser Maschinenschlosser, beide Mitglieder der ersten Workklau-Gruppe, sind da ziemlich zuversichtlich.
taz:Was bedeutet Workklau?
Sevgi: Workklau heißt zuächst nur: Wenn mir niemand Arbeit geben möchte, dann klau‘ ich mir welche. Workklau bedeutet aber auch, daß Arbeitslose sich nicht mehr in den Arbeitsloseninitiativen zurückziehen und sagen: „Wir sind jetzt die Arbeitslosen, für uns gibt es keine Arbeit.“ Ich weiß, daß es genug Arbeit gibt. Ich sehe es nicht mehr ein, darauf zu warten, daß irgendjemand kommt und einen mit Arbeit beglückt, sondern daß man sagt, wir sind nicht mehr so passiv, wir nehmen uns die Arbeit, die es gibt, und machen da was draus.
Wie seid ihr auf Workklau gekommen?
Sevgi: Die Idee entstand eigentlich aus dem Ruhrschrei -Festival. Zu so einem Festival-Rahmen im Ruhrgebiet gehört es einfach dazu, mit den Gruppen der Arbeitslosen zusammenzuarbeiten. Da kann man nicht einfach drüber hinwegsehen. Die Arbeitslosen sind da, und sie sollten in so einem Rahmen, wo andere Spaß haben und zusammen feiern, nicht außerhalb bleiben.
Wolfgang: Der Arbeistlose lebt in vielen Fällen isoliert, hat 'ne Angstschwelle und hat 'ne Schamschwelle. Und diese Workklau-Aktionen, das war 'ne Möglichkeit, auf Menschen zuzugehen, um aktiv zu werden. Aktiv sein ist Arbeit. Immer wenn ich einen Tiefpunkt habe, will ich etwas ändern, und das war auch der Grund, warum ich mich der Theatergruppe angeschlossen habe, um aktiv zu werden. Also ich muß sagen, diese ganze Workklau-Aktion hat mir unwahrscheinlich gut getan, denn ich war plötzlich wieder wer.
Welchen Sinn hast du für dich in der Workklau-Aktion gesehen?
Wolfgang: Da war Arbeit, Workklau war Arbeit, ich konnte mal wieder richtig schön malochen. Und das gibt einem ein ganz anderes Selbstwertgefühl. Wenn man so die Leute sieht in den Arbeitsloseninitiativen, die sitzen da den ganzen Tag und reden nur: „Nichts los, wir haben keine Knete, wir möchten mal was erleben“: ein Rockkonzert zum Beispiel, da kann man nicht hinfahren. Und wenn Geld da ist, dann Flucht in die Droge - Saufen. Das heißt, daß Arbeitslose in ihrer beschissenen Lage jetzt noch anfangen, sich selbst zu zerstören. Ich bleib dabei, da hilft nur eines, die müssen zurück in den Arbeitsprozeß. Für mich war das Workklau mehr als nur Theater. Was meinst du, was das für ein Gefühl ist, nach so und soviel Jahren mal wieder einen Spaten in die Hand zu nehmen; erst diese Unsicherheit und dann auf einmal: Mensch, das klappt ja doch noch. Das kann auch nur derjenige verstehen, der so was kennt.
Welche Aktionen habt ihr gemacht?
Sevgi: Die Ideen sind eigentlich aus den einzelnen Städten heraus entstanden, von Bürgerinitiativen, die bereits Jahre für etwas kämpfen, zum Beispiel für ein Biotop, für einen Kinderspielplatz oder eine Rollstuhlrampe: alltägliche Dinge, die aber in vielen Städten noch vernachlässigt werden. Wir haben mit Workklau ein I-Tüpfelchen für neue Aufmerksamkeit gegeben, denn die meisten Initiativen gibt es ja schon länger. Wir haben mit der Workklau-Aktion demonstriert, jetzt nicht mehr zu warten, bis irgendwoher ein Jawort kommt. Wir wollten Fakten schaffen und haben zum Beispiel einen Grundstein für das Jugend- und Kulturzentrum gelegt.
Workklau heißt also, einen Denkanstoß geben, wo lange nichts passiert ist.
Sevgi: Ja, wo es lange dauert, bis etwas getan wird. Zebrastreifen oder Ampelanlagen für den Schulweg, worauf die Bürgerschaft immer noch wartet, Unterschriftensammlungen macht und die Behörde dann trotzdem mit dem Vorwand, es sei zu wenig Geld da, solche Sachen abwehrt. Das ist auch der Punkt, wo die Arbeitsloseninitiativen mitarbeiten könnten: nicht mehr diese Beschäftigungstherapien, wo man im Stadtpark Laub aufsammelt im Herbst oder mit dem Handkarren durch die Gegend geht und auffegt. Das sind ja immer die Arbeiten, die vom Arbeitsamt an die Arbeitslosen herangetragen werden. Das sind keine Arbeiten, die einen ausfüllen, es müssen Aufgaben sein, die wirklich Sinn haben, so wie Workklau: Da passiert was, und das kann auch wirklich mit den Leuten erarbeitet werden, die keine Arbeit haben.
Welcher Arbeitsbegriff steckt hinter Workklau. In dem Projekt habt ihr geschrieben: Nimm dir die Arbeit, sei dein eigener Arbeitgeber.
Sevgi: Auf jeden Fall ein ernsthafter Gedanke. Es hat nichts damit zu tun, daß wir den Leuten ein Schnippchen schlagen wollen und sagen: „Guckt mal, wie lustig wir sind und wie toll wir am Spaten hängen.“ Das sind alles ernsthafte Aktionen, die ganz konkret mit der Politik der Städte und mit der Politik der Arbeitslosigkeit zu tun haben. Zum Teil sind die Workklau-Aktionen eigentlich nicht ernst genommen worden, das haben wir ja auch gemerkt. Die Presse war zwar unheimlich gut vertreten, aber die Reaktion, die wir eigentlich von den zuständigen Stellen - von der Stadt oder vom Bauordnungsamt - erwartet hatten, blieb aus. Wir haben schließlich ohne Genehmigung unseren Grundstein aufgestellt und haben deshalb erwartet, da würde doch jemand mindestens Anzeige erstatten. Aber die Ernsthaftigkeit ist bei bestimmten Leuten nicht rübergekommen und da ist natürlich die Frage, warum nicht? Entweder will man das nicht ernst nehmen, weil sonst die Frage um die Arbeitslosigkeit noch einmal aufgewühlt werden müßte, oder aber die haben Angst, daß sie der Bürgerschaft erklären müßten, warum hier kein Bürger- und Kulturzentrum gebaut wird.
Oder liegt es an der Aktion selbst? Wenn man sich als Theatergruppe ankündigt, werden die Inhalte vielleicht nicht mehr so ernst genommen.
Sevgi: Das stimmt schon. Als Theatermacherin werde ich zunächst als Unterhaltung wahrgenommen und konsumiert, weil das schön aussieht, weil man sich das selbst nicht traut. Aber wir haben viele Gemüter wachgerüttelt. Es wird nicht so sein, daß Workklau Arbeit ersetzt, aber Workklau wird ein Schritt dazu sein, mehr an Leute heranzutreten, die sagen: „Ich habe Arbeit. Was kümmert es mich, daß andere keine Arbeit haben?“ Workklau, das ist eigentlich Protest, Aufbegehren. Wir wollen auf uns aufmerksam machen, aber nicht mehr auf dieser wehleidigen Schiene, sondern indem wir etwas vorweisen: In uns steckt viel Elan und wir wissen, daß wir nicht allein sind.
Dafür gibt es ja schon die Arbeitsloseninitiativen. Macht ihr denen Konkurrenz?
Wolfgang: Nein, wir wollen Ideen dazu beitragen, diese frustigen eingefahrenen Programme, die die Initiativen durchziehen, aufzulockern. Ich kann mir vorstellen, daß bei den Arbeitsloseninitiativen irgendwann mal die Phase kommt „wir können doch nichts erreichen“ und die Resignation so groß wird, daß man sich gar nicht mehr traut, wirklich aufzuschreien. Zum Beispiel Hattingen. Über die Stahlarbeiter, die bei der Schließung in Hattingen arbeitslos wurden, spricht jetzt schon kein Mensch mehr. Diese Ruhe wollten wir mal durchbrechen mit den Workklau -Aktionen, damit wieder über die Arbeitslosigkeit gesprochen wird.
Welche politischen Motive stecken hinter Workklau? Sind die Aktionen vielleicht sogar subversiv?
Sevgi: Für mich war entscheidend, daß die Arbeitslosen, die eingeschläfert worden sind, zur Sprache kommen. Das ist ja das Paradoxe daran, daß die Gruppe der Arbeitslosen wirklich nicht von sich sagen kann, daß sie ohne Macht wäre. Mittlerweile werden sie ja schon zu einer Gegenmacht von denen, die Arbeit haben. Der Umgang damit ist ziemlich schwer, weil man da mit so vielen negativen Dingen belastet wird. Es heißt immer noch: „Die wollen ja nicht arbeiten.“ Man muß dem einfach entgegentreten, denn es geht so nicht weiter, daß man versucht, gerade diejenigen, die schwach sind, noch schwächer zu machen und klein zu halten.
Was folgt auf solche harmlosen Aktionen wie Grundsteinlegungen für Kulturzentren?
Wolfgang: Wir müssen zunächst einmal weitere Arbeitslose wachrütteln. Gerade bei Workklau, da habe ich im Arbeitslosenzentrum die Leute fast angeschrieen: „Kommt! Macht was! Steht auf!“ Diese Aktivitäten versuche ich schon seit Monaten auf die anderen zu übertragen, oder denen wenigstens zu sagen: „Wenn schon keine Maloche da ist, entdecke mal deine eigenen Bedürfnisse.“ Aber das Schlimme ist, die Leute sind teilweise so unten, daß die dazu gar nicht mehr in der Lage sind.
Könnte Workklau auch anderswo stattfinden?
Sevgi: Workklau können alle Arbeitslosenzentren übernehmen. Was wir gemacht haben, ist fast alles zu übertragen, endlich das zu tun, was eigentlich schon immer verboten war. Sobald eine Idee und eine Initiative da ist, kann es losgehen.
Habt ihr da Aktionen im Kopf, die noch deutlicher zeigen, daß hier etwas Verbotenes durchbrochen wird?
Sevgi: Wenn es darum geht, Häuser zu besetzen oder bestimmte Raketenstützpunkte einfach umzufunktionieren, dann würde ich denken, da wird die Polizei schon härter eingreifen. Wir haben ja bisher Aktionen gemacht, die jeweils Gesprächsthema in der Stadt waren und die Gemüter nicht mehr sonderlich aufgeregt haben und auch die Polizei nicht sonderlich bewegt hat, wenn wir einfach eine Rampe für Rollstuhlfahrer errichtet und die öffentlich eingeweiht haben. Es wird schon hart, wenn man sagt, es geht viel zuviel Geld in den Militarismus und die Arbeitslosen bleiben deshalb auf der Strecke. Wenn wir eine gute Gruppe zusammenkriegen könnten, könnte ich mir natürlich solche Aktionen sehr gut vorstellen. Das würde sicher ernst genommen, und nicht mehr so unter dem Deckmantel Theater schweben.
Was hat Workklau bewirkt? Die Rollstuhlrampe, der Grundstein, das waren ja alles nur provisorische Bauten, die am nächsten Tag wieder verschwunden waren.
Sevgi: Das Wichtige war, daß mal ein bißchen Schwung hineinkam in die Verhandlungen mit der Stadt. Ich denke schon, daß Workklau einmal eine Unterstützung für die örtlichen BI's war, die solche Aktionen immer schon gemacht haben und aus dem Rahmen gefallen sind und nicht mehr das getan haben, was man sonst macht: Büchertisch, Informationen, Flugblätter. So etwas läßt mittlerweile jedem die Klappe runterfallen, es will niemand mehr solche Sorgen hören. Man muß sich eher mit Phantasie in diese Bereiche begeben. Es geht keiner mehr hin um Flugblätter zu lesen, aber wenn du eine Aktion vorbereitest, wo Leute mitmachen können, sich auch selber etwas einfallen lassen können und auch mal laut werden dürfen, dadurch gewinnt man viel mehr Leute.
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