: Des Waldes Lust aus der Kühlhaus-Konserve
In Arnsberg/Sauerland hat die erste Forstgenbank ihre Arbeit aufgenommen / Gutgekühlte und gentechnisch einwandfreie Baum- und Strauchsamen sollen Erhalt der vom Waldsterben bedrohten Vegetation sichern / Ein europaweit einzigartiges Projekt, das „auch etwas Trostloses hat“ ■ Aus Arnsberg Anne Weber
Neben einer Pferdekoppel, mitten im blühenden Raps am Rand einer Einfamilienhaussiedlung in Arnsberg-Obereimer steht das zweistöckige Gebäude. Zur Hälfte weiß verputzt, das obere Stockwerk einschließlich Giebel mit hellem Holz verkleidet strahlt es die Behaglichkeit neuzeitlicher Ökobauweise aus. Eine Tafel am Eingang verrät die Funktion des Hauses: Es ist die erste Samenbank für den bundesdeutschen Wald, die „Forstgenbank NRW“. Ziel der Genbank - übrigens auch der ersten in ganz Europa - ist der „Erhalt der forstlichen Genressourcen“. Auch drinnen ist die Samenbank ganz Ökobau, sie wirkt wie ein Umweltschutzzentrum. Grüngewandete Forstbeamte gehen dort ein und aus, selbst der sprichwörtliche Kamerad eines jeden Försters, „sein treuer Hund“, fehlt nicht. Die freundliche Atmosphäre macht das an sich schon Unglaubliche noch unfaßbarer. „Aber“, so der Forstbeamte Joachim Heyder, „es besteht gar kein Grund, sich über unsere Arbeit hier aufzuregen. Das hätte man vorher tun sollen, als das Waldsterben bekannt wurde.“ Er und drei weitere Kollegen haben vor drei Monaten mit ihrer Arbeit in der Forstgenbank NRW begonnen und versuchen zu retten, was zu retten ist.
1985 beschloß das Bundesministerium für Forstwirtschaft, dem „neuartigen Waldsterben“ auf befremdende Weise den Kampf anzusagen: In fünf Bundesländern und einer Bundeszentrale sollten Genbanken zur Rettung der Wälder eingerichtet werden. Nordrhein-Westfalens Umweltminister Matthiesen machte als erster ernst mit „Erhaltung der forstlichen Genressourcen“. Er finanzierte den Start des Projektes in Arnsberg/Sauerland mit 1,4 Millionen Mark. Joachim Heyder mag seine Arbeit: „Ich bin viel mehr draußen in der Natur, als ich es vermutlich bei einem anderen Beamtenjob in der Forstwirschaft wäre.“ Trotzdem findet er, „daß die Genbank auch etwas Trostloses hat, denn länger als auf 30, 40 Jahre können wir gar nicht planen.“ Es fehlen Erfahrungen für die Arbeit einer Forstgenbank. Bislang gibt es Vergleichbares nur für die Landwirtschaft. Heyder weiß, daß die Lagerung des Samens der einheimischen Sträucher und Bäume zwischen fünf und 19 Grad minus in den Kühlräumen des Hauses den Wald auf Dauer nicht reproduzierbar machen kann: „Es ist selbstverständlich nicht möglich, irgendwann Wälder quasi als Naturkundemuseen einzurichten.“ Den Wald aus der Retorte kann und soll es nicht geben.
Hauptsächlich geht es den Förstern um die Erhaltung der vom Waldsterben bedrohten Bäume, und das sind - wie Heyder sagt
-„eigentlich alle“. Und so sammeln forstwirtschaftliche Mitarbeiter, die sogenannten Zapfenpflücker, in den nordrhein-westfälischen Wäldern die Samen von Bäumen und Sträuchern. Zur Zeit bringen sie Wildkirschen in die Genbank. Dort werden in mühseliger Handarbeit die Kerne von dem Fruchtfleisch getrennt, und dann in kleinen Schraubgläsern verlesen in die Metallregale der Kühlkammern sortiert. Dort lagern bereits Douglasien-, Fichten-, Buchen und Schwarzkiefersamen. Die Arbeit der Genbankbeschäftigten ist zu einem großen Teil im herkömmlichen Sinne forstwirtschaftlich. Wenn ein Baumbestand nicht allein durch Bodenverbesserungen wie Kalken erhalten werden kann, verjüngen sie ihn, das heißt, lichten aus, so daß neue Pflanzen nachwachsen können. Die eingefrorenen Samen, die trotz der Waldschäden genetisch noch unverändert sind, werden benutzt, um auf Freiflächen Ersatzbestände zu ziehen.
Neu und damit Samenbank-spezifisch ist die Einlagerung von Gewebekulturen, aus denen wieder Pflanzen gezogen werden können und die Einrichtung von Samenplantagen. Auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen zum Beispiel will man die heimischen Gewächse heranziehen, weil dort die „Ernte“ einfacher ist, als in Waldgebieten. Genetische Forschung, die Züchtung besonders resistenter Pflanzen, gibt es in der Genbank nicht. Mit einer düsteren Zukunftsvision begründet Förster Heyder eine Notwendigkeit der Samenbank: „Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß es in unseren Wäldern mal so schlimm aussehen kann wie in der DDR, im Erzgebirge, wo große Flächen bereits vollständig vernichtet sind.“ Da müßten zu dem Waldsterben „nur 'mal ein zwei schlimme Trockenperioden hinzukommen“. Wiederaufforstung ohne die Samenbank wäre dann problematisch, da Pflanzen aus nicht heimischen Waldgebieten hier schlecht anzusiedeln sind.
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