Robin Wood am Scheideweg

Umweltschutzorganisation Robin Wood will mit einer breitangelegten Werbekampagne der Finanzmisere paroli bieten / Außerordentliche Delegiertenversammlung beschloß professionell angelegte PR-Aktionen und ein umfangreiches „direct mailing“ / Harsche Kritik von der Basis oder die Angst „so zu werden wie Greenpeace“  ■  Aus Hamburg Reiner Scholz

Man braucht es, doch irgendwie verdirbt es den Charakter: das liebe Geld. Seit Jahren treibt die Diskussion um diesen Mammon die Alternativen um, und nun hat es gar die bisher „sympathisch dilettantische“ (O-Ton eines Mitglieds) Öko -Aktionsgruppe „Robin Wood“ an den Rand der Spaltung gebracht.

Angefangen hatte alles mit dem Gefühl, mit dem alten, überwiegend auf kostenloser, freiwilliger Mitarbeiter basierenden Konzept einer dezentralen Bürgerinitiative nicht mehr weiterzukommen. Mit zunehmender Bekanntheit nahm auch die Anforderung an diese, 1982 gegründete, Organisation zu. Gleiches gilt auch für die (weltweite) Zerstörung der Umwelt. In dem neben Greenpeace mit 900 Aktivisten zweitgrößten Umwelt-Aktionsverein machten sich neue Wünsche und Anforderungen breit: eine professionellere inhaltliche Arbeit, das Bestellen wichtiger Gutachten, die Anschaffung von Schadstoff-Meßgeräten, die finanzielle Unterstützung größerer Projekte. Zudem erreicht die Geschäftsstelle in Bremen täglich mehr als 150 briefliche Anfragen, 20 Regional - und 10 Initiativgruppen wollen bundesweit schnell und umfassend bedient werden. All dies rief nach Aufstockung eines überwiegend durch ABM-Beschäftigung funktionierenden Apparates und provozierte unausweichlich die Frage nach den dazu notwendigen Finanzmitteln. Der Sündenfall

Mitte Juni vergangenen Jahres entschied eine Delegiertenkonferenz in Freiburg, Robin Wood solle Gespräche mit einer professionellen Werbeagentur aufnehmen, in diesem Frühjahr votierte eine knappe Mehrheit der Delegierten für „den Sündenfall“: Die „Rächer der Entlaubten“, wie sich die Aktivisten wegen ihres Schwerpunktes Waldsterben selbst nennen, entschieden sich für eine breitgestreute Spenden und Sympathiewerbung und eine umfangreiche „direct mailing“, wie es von kommerziellen Unternehmen bekannt ist und wie es auch Greenpeace und die Umweltgruppe „BUND“ schon lange praktizieren. Für 60.000 Mark (im ersten Durchgang) hat eine Werbefirma den Alternativen ein Konzept erstellt, Informationsmaterial gut lesbar aufbereitet und - besonders Stein des basisnahen Anstoßes - an ausgewählte Adressen einer Adressenhandelsfirma geschickt. Bereits Mitte Mai fanden 55.000 Bundesbürger (beim nächsten Mal sollen es 100.000 sein) unaufgefordert neben den Reklamen von Versandhäusern und Einladungen zur Nordwestdeutschen Klassenlotterie auch Post von Robin Wood in ihren Briefkästen. Thema des vierseitigen Faltblattes: Der Tropenwald stirbt.

Das brachte die Basis auf die Palme. Gegen die neue Art der Öffentlichkeitsarbeit entwickelte sie mit tiefer moralischer Überzeugung eine vielstimmige Opposition. Was die Regionalgruppe Dortmund einwandt, dachten viele: Man mache sich von kommerziellen Werbeagenturen abhängig, schmeiße denen das Geld in den Rachen, breche durch die Benutzung fremder Adressen mit dem anderswo vehement geforderten Datenschutz und schaffe durch die Kostenexplosion neue Sachzwänge. Im übrigen würden die Spender betrogen, weil diese dächten, ihr Geld diene ausschließlich der Erhaltung des tropischen Regenwaldes. Es werde auch zur Finanzierung einer Werbekampagne benutzt.

Die Gruppe Landau stellte ihre Aktivitäten ein, die Gruppe Darmstadt meldete sich ab, weil ihr die ganze Richtung nicht mehr paßte, die Gruppe Freiburg drohte nach einem endgültigen Votum für das „mailing“ mit ihrem Austritt. Sie verschickte Vordrucke, mit denen sich jedes einzelne RoWo -Mitglied demonstrativ aus dem Adressenverzeichnis streichen lassen sollte. Auch die andere Seite fuhr schwere Geschütze auf: „Wenn das Mailing nicht durchkommt, treten wir zurück“, erklärten drei der fünf Vorstandsmitglieder. Sie fanden vor allem Unterstützung in der völlig überlasteten Geschäftsstelle in Bremen und dem großen Büro in Hamburg. Die vorwiegend über Rundschreiben organisierte Auseinandersetzung nahm Formen an, die der sich gern als große Familie verstehende Verband bisher nicht gekannt hatte. Verratsvorwürfe und Unterstellungen verbandspolitischer Blindheit wechselten hin- und her. Kurz: Eine außerordentliche Delegiertenversammlung zum Thema „direct-mailing“ war dringend geboten, sollte die innerorganisatorische Erosion nicht weiter fortschreiten. Die fand nun am letzten Wochenende in Bayreuth statt: Angst vor Hierachie und Zentralismus

Die Kritiker legten ein Alternativkonzept vor. Die Adressen sollten aus eigenen Beständen genommen werden. Hans-Peter aus Freiburg äußerte die weitestgehende Befürchtung: „Wenn wir anfangen, so große Geldsummen professionell herumzuschaufeln, müssen wir das perfekt professionell machen und können unsere Strukturen nicht mehr so aufrechterhalten wie bisher.“ Durch eine solche Massenwerbung würden immer mehr Anfragen kommen, die könne dann nur ein Verein mit veränderten Strukturen bewältigen. Und: „Wir müssen uns entscheiden, ob wir so werden wollen wie Greenpeace.“

Damit war die große Angst eines jeden Robin-Wood-Aktivisten ausgesprochen, „so werden wie Greenpeace“, die Organisation, die heute 80 Angestellte beschäftigt, ein Spendenaufkommen von 55 Millionen Mark im Jahr bewältigen muß und mit der Geschichte von Robin Wood eng verbunden ist. Aus Protest gegen deren starre innerverbandliche Hierachie, die von kommerziellen Unternehmen abgekuckte Professionalität und die Allmacht des Vorstandes, der die einzelnen Aktivisten vor Ort nach Aussage der Kritiker gern zu Verkäufern von Anstecknadeln und T-Shirts gegradierte, verließen vor sechs Jahren über 40 Aktive die weltbekannte Umweltschutzorganisation und gründeten Robin Wood. Die Rächer der Entlaubten widmeten sich in der Folge vor allem dem von Greenpeace vernachlässigten Waldsterben, machten mit spektakulären Schornstein-Besetzungen oder dem Anketten an die eisernen Tore von Chemie-Gift-Fabriken wie Boehringer auf sich und die katastrophalen Zustände aufmerksam. Im Rahmen des Programms bestimmen die regionalen Gruppen ihre Aktionen selbst. So wurde mit den Jahren aus dem kleinen Dissidentenverband mit dezentraler, basisnaher Organisation ein großer, dem die minimale Ausstattung mit Geld und Verwaltung angesichts hochgesteckter Ziele nicht mehr ausreichen.

Es kam in Bayreuth nicht zu der von vielen gefürchteten Explosion. Djoeke Luecken, einzige Festangestellte und Aktivistin der ersten Stunde, rechnete vor: „Wir brauchen im Jahr 120.000 Mark für das Büro. Will sich der Verein nach dem absehbaren Auslaufen der ABM-Verträge auch nur vier Festangestellte leisten, so belaufen sich die dafür notwendigen Ausgaben auf 250.000 Mark jährlich.“ Dafür reiche das bisherige Beitrags- und Spendenaufkommen nicht. Und: „Wir kriegen doch schon Herzklopfen, wenn wir für ein Transparent 500 Mark brauchen.“ Befürworter des Mailings wiesen auf die „Zeiten“ hin, die sich geändert hätten. Früher kam man schon in die 'Tagesschau‘, wenn man einen Schornstein bestiegen hatte, heute reiche so etwas nur noch für die vermischten Lokal-Nachrichten.

Die basisnahen Kritiker hatten in Bayreuth die Moral auf ihrer Seite, die Sachzwang-Argumente und die bisherigen Erfolge aber sprachen für das Mailing. Die erste Runde brachte außerdem mit 90.000 Mark Spenden erheblich mehr Geld, als selbst größte Optimisten vorausgesagt hatten. Damit will der Verein Ausrüstungsgegenstände anschaffen, aber auch alternative Aktivitäten zur Weltbank-Tagung in Westberlin unterstützen sowie Schuldentitel zur Rettung von bedrohten Regenwaldflächen aufkaufen. Zur Erfolgsbilanz gehört ferner, daß über 3.000 Anfragen eingingen. Die anonym Angeschriebenen hatten offensichtlich bei dem Thema Mailing erheblich weniger Bauchschmerzen als die Aktionsbasis des bundesweit agierenden Vereins. Angesichts dieser Sachlage gab eine Zweidrittel-Mehrheit der Delegierten am Wochenende grünes Licht für die mehrstufige, umfangreiche Kampagne insgesamt, die noch sechs weitere Massenmailings mit bis zu 100.000 Adressen zu anderen Themen umfassen soll. Eine Änderung allerdings beschlossen die Delegierten ohne Gegenstimme: Künftig soll jede Spendenaufforderung den Zusatz erhalten, daß die Spender mit einem Teil des eingezahlten Geldes natürlich auch die umfangreiche Werbekampagne finanzieren.