: POKERSPIELE
■ Einzureißende Neubauten: Das Wissenschaftszentrum
Einmal, als die Vernunft selbstgerecht schlief, gebar sie im Traum Wohnmaschinen, gebar sie eine glatzköpfige Mutation, die keine Locken schmücken sollten, gebar sie aus dem reinen Glauben an ihre Funktion die Große Gerechtigkeit des International Style. Als sie sich mit so großem Gewinn eingerichtet hatte, überkam sie der Alptraum, alle, alle, alle - Gewinner und Verlierer - seien gleichermaßen ruiniert. Aber, sei's, daß sie sich den Ruin wünschte, sei's, daß ihre List und ihr Selbstbetrug immer schon zusammengehörten - nun tat sie alles, um in einer Art Selbstbetäubung laut, lärmend und möglichst fröhlich zu erscheinen. Die Stunde des Ruins verlangte wirklich Unmögliches: Keiner konnte mehr an sich und seine Interessen denken, global war gemeinsames Handeln verlangt.
Aber nun wollte die Vernunft nicht mehr. Nein, so groß wollte sie nicht sein. Tatsächlich war der Druck immens. So fiel es ihr leichter, die Verlierer umzutaufen in „plurale Lebensformen“, und wenn nicht die Utopie, so doch den schrecklichen Schritt aus der Selbstvergessenheit in eine neue Vorstellung von sich, als Befreiung auszurufen. In der neuen Freiheit sollten alle spielen dürfen, und dem Haus, speziell dem Renommierbau, fällt die Aufgabe zu, kraft der Kunst unsere bunte Vielfalt als Einheit vorzustellen. Die List der Vernunft, sich selbst zu betrügen, lag in der schrillen Umdeutung ihrer nächtlichen Albträume. Und in ihrem architektonischen Spezialfall lag sie entsprechend darin, die Lossagung von ihrer letzten Lüge, vom Einheitsstil des Funktionalismus, als Vehikel für eine neue Proklamation der Freiheit zu benutzen. Kritisch ließe sich ferner sagen, nicht schon das große Pokern mit der Tradition kann die Freiheit unseres Spiels sein, nachdem die Freiräume verloren sind.
Beim Wissenschaftszentrum der postmodernen Architekten Stirling/Wilford ergibt das Spiel mit historischen Zitaten eine architekturgeschichtliche Revue. Um den neobarocken Altbau sind vom historischen Kramtisch hofförmig die Formenschemata eines amphitheatrischen Halbrunds, eines sechseckigen, renaissancehaften Campaniles, einer griechischen Stoa sowie eines kreuzförmigen Baus mit Apsis angeordnet. Hinsichtlich des Neben- oder Miteinanders der Epochen stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn Stirling von den „monumentalen Zeichen“ spricht, die heute zugleich ironisch in Frage zu stellen seien. Trifft diese Ironie diejenigen, denen die Monumente gelten?
Eine Variante der Postmoderne ist der Zynismus, den sie dort produziert, wo sie jede Verbindlichkeit aufgibt. Der Architekt ist kaum wie ein anderer Künstler ans Kapital gebunden, und oftmals mögen seine Größenphantasien verführbar sein für die Möglichkeiten, die ihm die Größenphantasien der Gesellschaft eröffnen. Die Brüchigkeit dieser Bindungen trifft mit der Verblendung zusammen, unserer Gesellschaft Monumente bauen zu können. Ironie wäre hier also eine Haltung, in der man sich von der Selbstaufgabe in der eigenen Selbstverwirklichung und so letztlich auch von seinem eigenen Produkt distanziert. Es ist Hohn, uns heute noch ernsthaft Monumente bauen zu wollen. Da die Monumente aber doch gebaut werden, ist die Ironie jene zweideutige Haltung, mit der der Wille zum authentischen Ausdruck abgedankt hat, während sich der Künstler im Rekurs auf die Vielfältigkeit der Wirklichkeit in die Kulisse einer Zitatenfülle einreiht, statt aus eigener Kraft zu sprechen. Nachdem alle Stile ihre Legitimität verloren haben, ermöglicht das manieristische Spiel mit ihnen zu vergessen, daß der Funktionalismus den realen Kräften des Gesellschaft gegenüber gleichfalls ein ebensolche Chamälion gewesen ist. Und die Auftraggeber sind die gleichen.
Das historische Spiel des Wissenschaftszentrums besitzt weder eine Aussagekraft über die europäische Geschichte noch über ihre späten Repräsentanten im Berliner Senat. Es hat nicht einmal einen Bezug zu dem Ort am Landwehrkanal, wo es inszeniert wird: wie beim Kulturforum ist der Narzißmus der Postmoderne zu keinem wahren Bezug fähig. Geschichte, sei's die europäische insgesamt, sei's die Nachkriegsgeschichte, taugt nur zu den Requisiten einer Operette. So schrill wurde schon einmal überspielt, was im Innersten lähmte. Es ist eben doch eine Wiederholung, nur eine unbewußte.
Stirling/Wilfords Bau ist mit Fenstern geschmückt, die von weitem schon an die Inhumanität des NS-Architektur erinnern. Die Farbgebung des Wissenschaftszentrums in babyblau und babyrosa liegt hier also de facto auf der Schiene eines unernsten Spiels mit dem Allerernstesten, was je geschah. Oder mag der postmoderne Wille zu einer gleichzeitig populären und intellektuellen Architektur hierzu geführt haben? Wenn es die Aufgabe der Intellektuellen ist, ihre Werke im Namen eines populären kulturellen Kodes in Bonbonpapier zu verkaufen, so ist die Tendenz zum Ausrutscher immanent. Das Bunkerhafte von Stirling/Wilfords Lollypop-Stoa, ineins mit ihren Faschismus-Assoziationen, scheint an der Außenwand der historischen Spiels ein zerbombtes Bewußtsein der Kriegsgeneration eher darzustellen als zu bezeichnen. Ein Argument mehr für die These, daß der Spielraum der kritischen Distanz abzusinken droht.
Aus dem Gutachten der dreizehn Preisrichter, von denen dann immerhin doch zwölf für Stirling stimmten, ist mir leider nicht mehr bekannt, als die Kritik einer „regressiven Utopie“ und einer „nachgestellten Idylle“. Tatsächlich haben alle Utopien heute gemessen am zerstörerischen Fortschritt regressive Momente. Ein gleichberechtiges Nebeneinander der Zeiten könnte vielleicht sogar über seinen positiv bewahrenden Aspekt hinaus ein Modell für eine ökologische Befreiung abgeben.
Der traditionell auch von der Linken negativ besetzte Begriff der Idylle beinhaltet ebenso eine Beschränkung der Produktivkräfte wie einen Rückschritt hinter das historische - Realitätsprinzip. Seit Anakreon ist die Idylle ein gesellschaftsferner Freiraum für ländliche Romanzen. Die Kunstgeschichte hindurch ist die Idylle ein Raum, in dem sich sowohl Zivilisationskritik wie utopische Ideale artikulieren. Die psychologische Regression, die sie im Sinne einer beschränkten Kinderwelt beinhaltet, mag mitgeholfen haben, sie auch von fortschrittlichen theoretischen Positionen aus abzuwerten. Die linke Kritik am Bürgertum war darin rigider mit sich selbst als die Kapitalisten. Bei Freud heißt es: kein Glück ohne die Erfüllung von Kindheitswünschen. Vielleicht hat die jetzige Jugend nicht mehr den Fundus an Naturerfahrungen aus ihrer Kindheit, aus dem sich die Sehnsucht nach der Idylle nährte. Wir müssen uns, bevor die nächste Generation endgültig der Faszination der New Yorker Diskotheken erliegt, tatsächlich fragen, was wir mit der Liebe zur Idylle aufgeben.
Ich vermag nicht zu entscheiden, wieweit ähnliche Überlegungen die vordergründige Ambivalenz in der Kritik der Preisrichter auflöste. Offenbar müssen sie sich ja für eine „nachgestellte Idylle“ entschieden haben. Der technokratische Idyllenboom der IBA demonstriert vielfach und immer gleich erfolglos den Trend zur Idylle, die sie mit modischem Tinneff und kunstgewerblichem Stilkram in überladenen Fassaden nicht erreicht. Die Aktualität der Idylle ist offenbar unbestreitbar. Doch das Mißverständnis liegt schon darin, daß Idyllen sich eben nicht durch Großplanungen nach den DIN-Werten des sozialen Wohnungsbaus schaffen lassen. Ihr Verschwinden in der nachindustriellen Gesellschaft läßt sich nicht durch kosmetische Anstrengungen rückgängig machen. Eben das erfaßt den Begriff der „nachgestellten Idylle“.
Die vermag also niemanden zu befriedigen. Das künstlerische Modell der Idylle beinhaltet wie alle Kunst Regression im Dienst der Entfaltung. Die Begriffe sind ebenso ans Individuum gebunden, wie die Idylle eben den - individuellen und jeweils historischen - Freiraum darstellt, der auf den sogenannten Fortschritt verzichtet. Der postmodernen Ästhetik der Idylle fehlt das Gespür für den Unsinn einer veranstalteten Idylle, mit der die postmoderne Architektur tatsächlich ein absolutistischer Entwurf für eine Krisengesellschaft wird, die sich die Lösungen verweigert. Der Pluralismus der Postmoderne wird undemokratisch nicht nur in kulissenhaften Stilisierungen von Einheit, sondern auch in der totalitären Wendung bislang ans Individuum gebundener Begriffe. Der Rückzug in die Idylle ist gewaltsam und regressiv im schlechten Sinn. Im Hof von Stirling/Wilfords Wissenschaftszentrum kann man die Verkindschungstendendenz der falschen, postmodernen Gesellschaftsferne nachsehen.
Gerd Kleiner
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