Warum er - und ich nicht?

■ Gute und miese "Therapie" - Arbeiten in der Psychiatrie

Warum er - und ich nicht?

Gute und miese „Therapie„-Arbeiten in der Psychiatrie

E.M., mein Mitgefangener und Mitpatient, war einen Monat vor mir da. Er kam im August, ich im September 1984, per Einweisung. Gleiche Station K 13 Süd, etwa 16 Mann dort, Forensische Abteilung der Irrenanstalt W. in BaWü, auch so ein Speziallager der deutschen Justiz.

Damals kam er nur zu den Mahlzeiten aus dem Bett, an sowas wie Abeit oder nur mehr Bewegung war nicht zu denken. Einige Monate lang.

Ich arbeitete von Anbeginn das, was man mir zuwies: Kartonagen machen, Kleinteile Metall, Schraubendrehen, drüben in der Werkhalle, Tag für Tag für rund DM 60,- im Monat. Und als einziger putzte ich selber meine Zelle, grundsätzlich bis heute.

Einmal wurde E.M. zwangsweise aus dem Zimmer geschmissen, ab dann war sein Pennplatz tagsüber die Bank im Tagsaal, gepolstert sogar, er hatte Platz, wir waren ja drüben bei der Arbeit. Dann hat man bei ihm nochmal auf Druck geschaltet: Man befahl ihm, Hausarbeit zu machen, die Räume zu putzen. Eine halbe Woche versuchte er es, dann war Schluß, denn so ist keine Arbeit zu machen. Ich wurde gebeten, diesen Job zu tun und übernahm ihn: Ich machte, was man von mir verlangte, und ich machte das nachweisbar zu aller Zufriedenheit, genau wie draußen auch. Dann kam der 24jährige R. auf die Station, der seinen Kot manchmal an Wände und Türen schmierte, den ich, Job ist Job, klaglos zu beseitigen hatte. Die anderen schrien, doch ich reinigte auch das ohne viel Worte.

Oder ich überzog nächtlich naß eingegilbte oder eingebräunte Betten mit frischen Laken, das gehörte zu diesem Job und sollte wohl Therapie sein. Wenn sich die Leute erbrachen, meist wegen ungezügeltem Essen, machte ich auch das weg. Essen ist in der Anstalt Kommunikationsersatz. Kommunikationsersatz, weil zwar ein großes Geschrei über Therapien gemacht wird, doch kaum jemand zu einem Gespräch bereit ist. Anderer Kotze als Nachtisch für mich, das wird hier Therapie genannt.

Dann wurde für E.M., dem Versager, ein anderer Kleinposten frei. Auch dieser Versuch war Zwang, der machte ja nichts von sich aus. Er wurde Küchenarbeiter der Station, ein Helfer des Pflegers: zwei Stunden Tätigkeit pro Tag. Er schaffte es. Die übrige Zeit lag er weiter auf der Bank. Morgens bekam jeder von uns ein Päckchen Marmelade, genau 20 Gramm, wir hatten Mühe, die Marmelade noch zu schmecken, wenn sie verstrichen war. Küchenarbeit wirft für den Handlanger dort etliches ab. Er aß jeden Morgen mindestens 6 Päckchen Marmelade vor unseren Augen, wir hatten nur eines.

Die sogenannten Pfleger läßt das kalt, diese PFP's: Pfleger fetter Pensionsansprüche.

Dann trennten sich unsere Wege. Natürlich innerhalb der Forensischen Psychiatrie, auch er wurde verlegt. Im Gegensatz zu mir auf eine halboffene Station, die K 12. Als ich erstmals mit einem Pfleger vor die Mauer kam und auf dem Anstaltsgelände spazieren ging, das war im Frühjahr 1986, da sah ich voll Staunen E.M. alleine im Gelände spazieren, soweit hatte er es schon gebracht.

Jetzt schreiben wir Frühjahr 1988. E.M. sucht sich draußen Arbeit, Direktor B. hat's genehmigt, er steht kurz vor der Entlassung, unser E.M. Obwohl er nur einen Monat vor mir in die Anstalt kam, damals 1984. Bei mir ist trotz Arbeit, Fleiß und Zuverlässigkeit nicht oder noch nicht an Entlassung zu denken.

W.R., Landeskrankenhaus Wiesloch