: Alternative Pleite mit marxistischem Konter
Die letzte alternative AStA-Koalition an einer deutschen Uni ist nicht mehr / Bremer Studentenvertretung wegen fehlender 135.000 Mark zurückgetreten / Nach fünf Jahren sind wieder realsozialistische Hochschulpraktiker an der Macht ■ Aus Bremen Klaus Schlösser
Der Fotokopierer ist geklaut. Daß auch die Schreibmaschinen verschwunden sind, macht fast gar nichts, denn Farbbänder und Papierbögen sind sowieso ausgegangen. Telefonkosten über 10.000 Mark mahnt die Universitätsleitung seit Monaten ohne Aussicht auf Erfolg an. Schließlich wartet selbst der hauptamtliche Mitarbeiter seit einem Vierteljahr vergeblich auf seine ABM-Bezüge. Der Bremer AStA ist pleite, die Buchführung in einer ebenso desolaten Verfassung wie die verfaßte Studentenschaft selbst: Wo der eigens für die Buchhaltung angeschaffte Personal-Computer geblieben ist, weiß angeblich niemand.
Bekannt ist dagegen, wo ein zeitweilig auf Anweisung des Rechnungshofs angestellter Buchhalter geblieben ist: Per Arbeitsgerichtsverfahren wurde der Mann, der die Bücher in Ordnung bringen sollte, nach einem halben Jahr wieder rausgeschmissen.
Nach fünf Jahren vor allem in ihrem Finanzgebaren höchst undogmatischer Hochschulpolitik leistete die vorerst letzte alternative AStA-Koalition an der Bremer Universität, zusammengesetzt aus der „Alternativen AStA-Liste“ (AAL, acht Sitze), Autonomen (einen), Feministischer Liste (zwei) und Jusos (zwei), vor drei Wochen ihren politischen und finanziellen „Offenbarungseid“ und erklärte gleichzeitig ihren Rücktritt.
Einem Kontostand von 35 Mark stehen 150.000 Mark Verbindlichkeiten gegenüber. So hatte es eine angesichts sich türmender Lieferanten-Mahnschreiben eilig eingesetzte interne Kassenrevisoren-Kommission ausgerechnet. Exakt soviel, wie der AStA jeweils für ein ganzes Semester aus den Beiträgen der 10.000 Bremer StudentInnenen kassiert.
Die erfuhren ebenso wie der Universitäts-Rektor erst aus der Zeitung von der alternativen AStA-Pleite. Uni-Kanzler Ralf Wilken, neben dem Rechnungshof zuständig für Prüfung der AStA-Bilanzen, will bis 1987 nur Jahresabschlüsse gesehen haben, die mit einem Plus abschlossen. In einem rechtfertigenden Rückblick machte die geplatzte Alternativ Koalition allerdings vor allem „seit Jahren mitgeschleppte Schulden“ für das Finanzdebakel verantwortlich.
Was die StudentInnen von ihrer Politik hielten, interessierte die alternativen Hochschulpolitiker nicht erst seit der von der studentischen Öffentlichkeit fast unbemerkt gebliebenen Bankrott-Erklärung höchstens am Rande. Während das zahlende Studienvolk mit defizitären Uni-Feten bei Laune gehalten wurde, fanden Teile der alternativen AStA-Politiker Außeruniversitäres zwischen Massakern in den israelisch besetzten Gebieten und besetzten Häusern in der Bremer Neustadt prinzipiell wesentlich wichtiger als den Kampf um Bafög und Studienordnungen: „Ressourcen und Infrastruktur des AStA zur Unterstützung autonomer Projekte nutzen“, lautete das Credo der Autonomen im AStA noch am Tag nach dem Rücktritt.
Während in den Behörden von Bremens Wissenschaftssenator Horst Werner Franke schon laut über die Einsetzung eines Staatskommissars nachgedacht wurde, während gleichzeitig die geplatzten und zurückgetretenen Koalitionäre mit Ausnahme der Jusos noch in fröhlichem Optimismus und mit Blick auf die für November geplanten Studentenrats-Neuwahlen an Sanierungskonzepten der desolaten Finanzen bastelten, planten die realen Sozialisten des Marxistischen Studentenbundes (MSB, sechs Sitze) und die Kritiker des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ vom Sozialistischen Hochschulbund (SHB, fünf Sitze) nach fünfjähriger Opposition ihre Rückkehr an die studentische Macht. Mit Erfolg: Mit den Stimmen der Jusos inthronisierten sich die studentischen Marxisten vor 14 Tagen klammheimlich als neuer AStA der Universität Bremen und erhielten prompt und gegen den Einspruch der „Alternativen“ den höheren Segen der Universitätsleitung.
Inzwischen hat sich die Fraktion der Ehemaligen überlegt, daß sie erstens ohnehin nichts „von den Verfahren der repräsentativen Demokratie“ hält und es zweitens „nicht mehr zu vermitteln wäre, wenn man auf einer kommissarischen Führung der AStA-Geschäfte“ bis zu den Neuwahlen bestehen würde.
Mit vorläufig geklärten Macht- und völlig ungeklärten Finanzverhältnissen verabschiedeten sich jetzt alte und neue AStA-Fraktionen in die wohlverdienten Semesterferien.
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