Meinung vor Reklame

■ Meinungsfreiheit der „Bürgeraktion“ gilt mehr als die „Werbenutzung“ der „Deutschen Städtereklame“ in Garlstedt / Reklamefirma legt Berufung ein

Eine riesige Kneifzange reißt Bäume aus dem Wald bei Garlstedt. Aus dem Dunkel der verwundeten Erde kriecht ein US-Panzer wie ein großer Käfer. Mit diesem Plakatmotiv wollte die „Bürgeraktion Garlstedter Heide“ vor über zwei Jahren für Aktionen gegen die geplante Panzertrasse werben. 100 Plakate wollte sie in den Straßen von Osterholz -Scharmbeck anbringen und stellte den üblichen Antrag an die Stadt. Doch die Stadt antwortete nicht.

Antwort bekam die Bürgeraktion von der „Deutschen Städtereklame GmbH“ (DSR) in Bremen. Denn mit der DSR hat die Stadt seit 1984 einen „Werbenutzungsvertrag“. Aufgabe der DSR

ist es, die Straßen der Stadt als Werbeflächen zu vermarkten. 34 Prozent der DSR-Einnahmen, die die Gesellschaft aus der Vermietung von Litfaßsäulen und Plakatwänden erzielt, fließen der Stadt zu. Damit, so dachten die Stadtväter, seien sie auch die Sorge mit den politischen Plakaten der „Bürgeraktion“ los und könnten noch zusätzlich Geld verdienen.

Die DSR hatte zwar nichts gegen die Plakate einzuwenden, die die „Bürgeraktion“ im Februar 1986 aufstellen wollte. Aber sie wollte Bares sehen: rund 900 Mark. Hätte die Stadt den Antrag, wie bis dahin üblich, genehmigt, wäre nur eine Verwaltungsgebühr fällig geworden.

Das Vorgehen der Stadt war in

allen Punkten rechtswidrig, befand das Verwaltungsgericht in Stade in seiner ausführlichen Urteilsbegründung. Eine Entscheidung gegen die Osterholzer Stadtväter, aber auch gegen die DSR, die als „Beigeladene“ ihren Vertragspartnern zu Seite stand. In der jetzt vorgelegten Urteilsbegründung heißt es, die Stadt hätte den Antrag der Bürgeraktion nicht nur annehmen und prüfen, sondern auch genehmigen müssen. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung habe eindeutigen Vorrang vor dem „Werbenutzungsvertrag“ zwischen der Stadt und der DSR.

Die DSR ist ein gemeinsames Unternehmen von 22 bundesdeutschen Großstädten, seiner

Rechtsform nach aber dennoch privat. In Bremen organisierte sie im Bürgerschaftswahlkampf 1987 das flächendeckende Plakatieren der rechtsradikalen und millionenschweren „Deutschen Volksunion“. Die DSR hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt. Ganz sicher ist sie ihrer Sache aber nicht: Ihr Widerspruch diene „vorerst“ nur dem Zweck, die Widerspruchsfrist zu wahren, betont sie in ihrem Schreiben und bittet das Gericht, vorerst von „prozeßleitenden Verfügungen“ abzusehen. Ob die Stadt sich der Berufung anschließt, bestimmt nach eigenem Bekunden heute der Oberstadtdirektor Erhard Mackenberg.

mw