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Der Stöckelschuh als Marter und als Lust

■ Gespräch mit der Filmregisseurin Ula Stöckl

Ulrike Helwerth

taz: Frau Stöckl, Sie sind einer der ersten „weiblichen Regisseure“ - wie das früher so schön hieß - des Neuen Deutschen Films. 1963 haben Sie am Institut für Filmgestaltung in Ulm mit dem Studium begonnen. Wie war das damals?

Ula Stöckl: Ich habe mich in Ulm beworben, weil ich lernen wollte, Drehbücher zu schreiben. Die erste Person, die ich dort traf, war Alexander Kluge. Der hat sich angeschaut, was ich bis dahin gemacht hatte und fand das sehr interessant, meinte aber, daß ich Drehbuchschreiben in Ulm nicht unbedingt lernen könnte. Schließlich wollte man dort den neuen Film in Deutschland kreieren und dazu gehörte in erster Linie, von dieser Spezialisierung in Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann, Cutterin usw. wegzukommen. Man wollte lehren, wie das zum Beispiel auch in den Zwanziger Jahren bei Brecht so war, daß es einen Verantwortlichen gibt, der mit künstlerischer Konzeption die Sache übernimmt, von der Idee bis zum fertigen Produkt. Eine Ausbildung also, die mit der gesamten Filmtechnik vertraut macht.

Haben Sie ihre Situation als einzige Frau unter lauter Männern als besonders empfunden?

Überhaupt nicht. Ich hatte damals nur eine Schwierigkeit, und die habe ich als ganz persönliche und nicht als frauenspezifische ausgelegt. Ich hatte ja keine Vergleichsmaßstäbe. Ich hatte am Anfang vor allem Technischen entsetzliche Panik, und es war immer ein Ko -Student da, der mir die Technik aus der Hand nahm, um mich zu entlasten. Ich mußte erst lernen, nicht froh darüber zu sein, daß es immer jemand gab, der mir die Birne in die Fassung schraubte oder einen Stecker. Aber erst viel später und im Austausch mit anderen Frauen habe ich kapiert, daß das an der Erziehung von Frauen lag.

Und in inhaltlichen Auseinandersetzungen?

Ganz am Anfang waren meine Inhalte und Themen sehr aufs Märchenhafte und Phantastische ausgerichtet. Das war damals nicht so gern gesehen, weil meine Lehrer Edgar Reitz und Alexander Kluge meinten, es sei doch eigentlich schade, wenn die erste Frau an der Schule die Märchentante vom Dienst wird. So wurde ich dann gut geschult in ganz konkreten Beobachtungen. Ich habe gelernt, Informationen nicht unhinterfragt an- und weiterzugeben. Zunächst hatte ich eine ganz große Sperre davor, Leute persönlich anzugehen. Aus meiner Erziehungsgeschichte heraus, die verbot, indiskret zu sein. Aber ob das mehr mit meinem Frausein oder mit meiner persönlichen Erziehung zu tun hatte, hätte ich damals nicht sagen könen.

Sie haben von Anfang an Alltag von Frauen aufgegriffen, Konflikte mit ihren Beziehungen, ihrem Leben. All das, was als „privat“ bezeichnet wird. Was hat sie damals zu diesen Themen bewogen?

Das war das Einzige, was ich damals glaubte, wirklich zu kennen. Betroffenheit. Es gab ganz viele Dinge, die ich nicht verstanden habe. Weder an den Frauen noch an den Männern. Ich habe zum Beispiel mit Erstaunen konstatiert, daß es sehr viele Frauen gibt, die ihre Interessen immer mit ihren Männern wechseln. Und diesem Phänomen wollte ich mal auf den Grund gehen.

Die Frauenbewegung war trotzdem nicht begeistert von Ihnen. Waren Sie nicht radikal genug?

Das kann ich nicht sagen. Die Frauenbewegung hat damals sicher nichts von mir wissen wollen und hat auch meine Filme nicht angeguckt. Erst 1976 bin ich für sie und für „Frauen und Film“ ein Thema geworden. Und es wurde festgestellt: Sie sagt ja eigentlich alles, was wir auch finden. Vielleicht in einer anderen Weise, weil ich eben einen ganz anderen Werdegang hatte. Ich habe mit 16 im Büro gesessen und bin mit 20 Jahren ins Ausland gegangen. Mit 23 war ich dreisprachige Direktionssekretärin und nicht Studentin an einer Universität. Ich war sozusagen immer eine zwischen den Generationen.

Haben Sie den Eindruck, daß Frauen, die heute, 25 Jahre später, in der Filmbranche anfangen, eine andere Situation antreffen?

In bestimmter Hinsicht ja. Es ist heute eben nichts besonderes mehr, wenn eine Frau beruflichen Ehrgeiz entwickelt und sich für einen Beruf in der Männerdomäne entscheidet. Wir hatten damals keine weiblichen Identifikationsfiguren. Daran hat sich in den letzten 20 Jahren viel verändert. Frau ist nicht mehr alleine.

Aber ist nicht auch die Konkurrenz wieder gewachsen? Es zeichnet sich eine Tendenz ab, daß frau allein am stärksten ist oder lieber wieder den Bund mit den Männern sucht.

Das sehe ich als eine natürliche Ebbe und Flut-Entwicklung. Da gab es nach dem Krieg Frauen, die meinten, sie seien die erste Generation, die etwas anderes wollte. Aber nur, weil sie geschichtlich nicht informiert war und nicht wußte, was ihre Großmütter schon alles geleistet haben. Diese Frauen werden nun von der Töchtergeneration abgelöst, die ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Erstens müssen sie nicht mehr prinzipiell um einen Beruf kämpfen, und zweitens haben sie mitbekommen, daß ihre Mütter, die sich in eine Männerdomäne vorgewagt haben, nicht glücklich geworden sind. Es war ja keine leichte und freiwillige Entscheidung meiner Generation, irgendwann beruflich getrennt von den Männern zu marschieren oder auch privat auf sie zu verzichten. Das war eher zwangsläufig, weil man in Interessenskonflikte geriet und die erst einmal austragen mußte. Heute ist sehr viel mehr möglich. Der Stöckelschuh ist zum Beispiel nicht nur mehr das Symbol für Frauenmarter, sondern bedeutet auch Lust und Spaß für eine neue Frauengeneration. Sie können heute mit Turnschuhen ins Theater gehen oder sich in ein Abendkleid schmeißen. Sie können heute etwas mit einem Mann probieren oder mit einer Frau.

Sie haben in Hessen und Hamburg in Filmfördergremien gesessen, die paritätisch besetzt sind. Haben sie die Erfahrung gemacht, daß eine solche Besetzung tatsächlich Frauen in größerem Maß fördern kann?

Wenn es die richtigen Frauen sind, sicher. Wir haben ganz oft gemerkt, wie wichtig es war, daß wir im Gremium saßen, denn wir konnten Themen, die von Frauen vorgeschlagen wurden, den Männern interpretieren. Frauen müssen schon daher in die Gremien, damit sie lernen, ihre Projekte und die anderer Frauen zu verteidigen. Frauen werden immer in einem Atemzug mit Nachwuchs- oder Low Budget-Film genannt. Von diesem Vorurteil muß die Welt endlich weg. Ich kann da aus dem eigenen Nähkästchen plaudern: Ich stand mal beim WDR zur Debatte für die Serie „Exil“ von Lion Feuchtwanger. Doch Günther Rohrbach, der damals noch Programmdirektor vom WDR war, fand, daß das zu anstrengend für eine Frau sei, monatelange Dreharbeiten durchzustehen und mit Millionen umzugehen. Am Ende hat es Egon Günther aus der DDR gemacht.

Ihr erster Kinofilm „Neun Leben hat die Katze“ wurde damals mit einer Prämie vom Kuratorium Junger Deutscher Film gefördert. Er gelangte jedoch nie in die Programmkinos. Warum?

Der Neue Deutsche Film traf damals eine Situation an, die kinomäßig total zu war. Weil es keine unabhängigen Kinobesitzer gab, die ein von den Verleihen unabhängiges Programm auf die Beine stellten. Und die paar, die es später gab, haben bald erfahren, daß es mit gutem Willen und Engagement allein nicht ausreicht. Mit „Neun Leben hat die Katze“ hatte ich unheimlich Glück, einen Verleih zu kriegen. Aber als der Film starten sollte, war „Atlas“ Pleite gegangen. Er ist erst 1978 in den nicht-gewerblichen Verleih von Basis aufgenommen worden. Von meinen Filmen ist bisher nur ein einziger in einem Programmkino gelaufen: „Schlaf der Vernunft“.

Warum haben Sie keinen anderen Verleih gefunden?

Die Verleiher haben zu jener Zeit das Pornogeschäft entdeckt. Und „Atlas“ hatte damals auf das Plakat, das es für „Neun Leben hat die Katze“ schon gab, einen ganz merkwürdigen Werbespruch drauf geschrieben: „Wie Frauen heute lieben.“ Was totaler Schwachsinn ist, weil man das gerade nicht sieht. Das wurde pornographisch ausgelegt, und alle Verleiher, denen ich meinen Film angetragen habe, meinten, darüber könne man reden. Aber ich müßte dann nachdrehen, und zwar eindeutige Pornographie. Dazu war ich weder Willens noch in der Lage.

„Neun Leben hat die Katze“ stieß auf die unterschiedlichsten Kritiken. „Damenfilm“ nannte ihn Karl Korn von der 'FAZ‘ und ein anderer meinte: „präsexuelle Albernheiten, die nächste Stufe wäre schon latent lesbisch.“ Auch auf dem Mannheimer Filmfestival 1968 stieß er auf wenig Gefallen.

Denen war mein Film zu unpolitisch. Damals hieß links ja in erster Linie APO, Protest gegen Vietnam, gegen den Imperialismus und den Muff unter den Talaren und wie die ganzen Slogans hießen. Und Sie finden in all meinen Filmen von diesen Themen explizit nichts. In „Neun Leben hat die Katze“ gibt es eine Traumszene in einem Rapsfeld, wo ein Bauer mit seinem Traktor rumfährt. Ich wurde einmal wahnsinnig dafür angemacht, daß ich einen Werktätigen zeigte, unkommentiert, ohne ihn nach seinen Arbeits- und Lebensbedingungen zu fragen. Es war die Zeit, wo man die gesellschaftlichen Ursachen von Zuständen erfragen wollte, und ich hatte in meinem Film nur eine Zustandsbeschreibung gegeben. Ein anderer Kritikpunkt damals war, warum man nicht erfuhr, aus welchen Elternhäusern meine Figuren kamen. Keiner der Erstlingsfilme hat damals den Erwartungen der Jury entsprochen, und so wurden mit den Preisgeldern Fahrräder für den Vietkong gekauft.

Sie möchten gerne wieder ins Kino.

Ja immer. Aber trotz Bundesfilpreis 1985 bin ich erst jetzt soweit, wieder eine Unterstützung zu bekommen. 300.000 von der Hamburger Kulturförderung. Ich arbeite seit vier Jahren an dem Thema und bin bei der 11.Drehbuchänderung.

Und um was geht es bei ihrem neuen Film?

Um unbewältigte Vergangenheit und No-future Generation. Was verbindet die heute 70-jährigen mit den 15-jährigen.

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