piwik no script img

Tieflader sollen den Roma Beine machen

Per Zwangsumzug will die Stadt Köln gegen die Roma-Siedlung in Ossendorf vorgehen / Letzte Station vor dem Rausschmiß ist ein überwachtes Lager  ■  Von Matthias Holland-Letz

Köln (taz) - Eine Ratte huscht über Glasscherben. Daneben die verwitterte Karosserie eines aufgebockten Busses. Eine Frau mit gelbem Kopftuch, der Rock knöchellang, sitzt schwatzend mit drei Freundinnen vor dem Wohnwagen. Hühner picken im Gras, drei Ferkel liegen dicht an dicht. Szenen aus Köln-Ossendorf. Ausländische Roma leben hier am Butzweiler Hof in Caravans, Zelten und roh zusammengezimmerten Hütten. Unter Bedingungen, die andere längst zur Verzweiflung gebracht hätten: Drei Wasserhähne stehen den 350 Roma zur Verfügung; um die Wasserstelle herum vergammeln Kleiderreste im Schlamm. Beißender Gestank dringt aus den engen Kabinen der sieben Chemietoiletten. Kein Wunder, daß die Roma lieber in die Büsche gehen.

Staatenlos sind etliche von ihnen, die wenigsten sprechen deutsch. „Keine Papiere, keine Arbeit, keine alles“, radebrecht Radmilla, eine resolute Enddreißigerin. Viele der Landfahrer wurden zuvor aus Belgien oder Frankreich vertrieben. Andere kommen aus Jugoslawien und haben politisches Asyl beantragt. Nun bläst ihnen auch in Köln ein schärferer Wind ins Gesicht: Gegen die Stimme der Grünen beschlossen SPD und CDU im Hauptausschuß des Stadtrates, die Roma vom Butzweiler Hof zu vertreiben. „Umfassende Personenkontrollen“ sprich: Razzien der Polizei stehen an. Die Stadt will feststellen, wer sich illegal auf dem Platz aufhält - um „gegebenenfalls Abschiebung zu beantragen“. Die ersten Familien haben bereits die schriftliche Aufforderung erhalten, die Bundesrepublik binnen 14 Tagen zu verlassen.

Vor der Entscheidung im Hauptausschuß hatten die Kölner Behörden bereits angeordnet, das Areal mit einem Erdwall abzuschotten, um zu verhindern, daß weitere Sippen nachziehen. Zur Zeit halten sich etwa 1.000 Roma ständig in der Domstadt auf, schätzt Hagen Grevenstein, der seit 15 Jahren für den Sozialdienst Katholischer Männer e. V. (SKM) Roma und Sinti betreut. Den Angehörigen des bedrängten Volkes bleiben jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie setzen ihre Odyssee gleich fort, oder sie versuchen, ein Bleibe-Recht auf juristischem Weg durchzusetzen. Ein Weg, der ihnen allerdings nur eine Galgenfrist von maximal einem Jahr einräumen würde. Dann hieße es endgültig: „Raus aus der Stadt.“ Den „Butz“ allerdings will die Verwaltung möglichst bald „freisetzen“. Die Roma werden gezwungen, auf ein Ersatzgrundstück umzuziehen. Wenn's sein muß, helfen die Behörden ein wenig nach: Altersschwache Wohnwagen will Beigeordneter Gerhard Kappius per Tieflader durch die Stadt karren lassen.

Läuft alles wie geplant, hält die Kölner Obrigkeit das Leben auf dem Ersatzgelände fest im Griff: Das Konzept der Verwaltung sieht „regelmäßige Kontrollen“ vor. Zusätzliche Kräfte werden für „Überwachungsaufgaben“ eingestellt. Schließlich gilt es, einen „ungeordneten Lagerbetrieb“ zu verhindern. Mit so viel Gastfreundlichkeit konfrontierrt, werden viele Roma das Weite suchen, was wiederum ins Kalkül der Verwaltung paßt. Zumindest rechnet sie damit, daß jetzt am „Butz“ eine „gewisse Bewegung hereinkommt“, wie es Karl Arntz vom Amt für Öffentliche Ordnung ausdrückt. Nur eine Handvoll Roma-Familien erhält die Chance, ihr Dasein als Vogelfreie zu beenden. „Wir wollen versuchen, hundert Personen in Köln zu integrieren, sagt Sozialdezernent Lothar Ruschmeier. Paten stehen bereit, um bei der Eingliederung zu helfen. Das sei zu wenig, befinden die Roma -UnterstützerInnen. „Wir können locker nochmal die gleiche Anzahl im Patenschaftsmodell unterbringen“, erklärt Thomas Bischofs, Mitarbeiter der Kölner Roma-Initiativen. Zudem überlegen Fachleute in nordrhein-westfälischen Landesministerien, eine NRW-weite Quotenregelung einzuführen. Wie die Spätaussiedler aus Osteuropa, sollen auch Roma künftig auf verschiedene Städte verteilt werden.

Bis eine landesweite Regelung unter Dach und Fach sei, „sollen die Roma in Köln bleiben dürfen“, betont Thomas Bischofs - „unter menschenwürdigen Bedingungen.“ Eine Forderung, der die Verwaltung lange zugestimmt hat. Davon ist nun im Rathaus keine Rede mehr, denn die Kommunalwahlen stehen vor der Tür.

In der Tat regt sich der Wählerunmut, und zwar derart, daß Dieter Göbel, Ratsmitglied der Grünen, von „blindem Rassismus“ spricht. Schon der Plan der Stadt, durchreisenden Roma und Sinti zwei feste Plätze mit Strom- und Wasseranschluß einzurichten, stößt auf erbitterte Gegenwehr. Schützenbrüder laufen Sturm, ebenso brave Hausfrauen, verdiente SPD-Genossen - bis hin zu einer Vorstadtaktivistin, die den Grünen nahesteht. „Als direkter Anwohner ... versetzt mich dieser Gedanke in Angst und Schrekken“, heißt es in einem der Protestbriefe, die Oberbürgermeister Norbert Burger (SPD) in den letzten Wochen erreichten. Ein anderer Anlieger fürchtet, seinen Grund und Boden nicht mehr verkaufen zu können - „oder würden Sie in einem Haus wohnen wollen, das 50 Meter vom Zigeunerplatz entfernt ist?“

Jack Schmuckli, Geschäftsführer der Sony Europa GmbH mit Sitz in Köln, urteilt, das Ossendorfer Lager neben seinem Firmensitz sei „schlimmer als eine Müllhalde“. Und droht offen mit dem Umzug der Sony-Zentrale nach Holland (die taz berichtete).

Geben solche Stimmen den Ton an, sind menschenwürdige Lösungen für die Roma schwer zu erreichen. Lösungen, die helfen, den fatalen Kreislauf Not-Kriminalität-Vertreibung -Not zu durchbrechen.

Daß Roma auch mal ein krummes Ding drehen, um über die Runden zu kommen, streitet Hagen Grevenstein vom SKM nicht ab. „Wenn wir in der gleichen Situation wären, wir wären kriminell wie der Teufel“, sagt der Pädagoge.

Die Arbeitserlaubnis wird den Roma verwehrt. Ebenso der Reisegewerbeschein, der ihnen erlauben würde, Waren zu verkaufen. Ganze vier Familien auf dem „Butz“ erhalten Sozialhilfe. Und wovon leben die übrigen? „Die Kinder machen so“, erklärt ein etwa vierzigjähriger Roma mit Stoppelbart, und streckt die rechte Hand in Bettlermanier aus.

Wenn Acht- und Zehnjährige eine ganze Sippe ernähren müssen, kommen sie mit Betteln nicht weit. Roma-Knirpse erleichtern deshalb vor dem Kölner Dom Passanten um ihre Brieftasche.

Werden strafunmündige Langfinger erwischt, liefert die Polizei sie in einem städtischen Jugendhaus am Konrad -Adenauer-Ufer ab. Elf Fachkräfte haben in der alten Villa die Aufgabe, sich um die Kinder zu kümmern.

„Feigenblatt-Charakter“ besäße das Kinderprojekt, urteilt indes Thomas Bischofs. „Wenn die Familien materiell nicht versorgt sind, ist das Klauen überlebensnotwendig.“ „Seit drei Monaten ist jede pädagogische Arbeit eingestellt“, weiß Kurt Holl. Die Zahl der von der Polizei aufgegriffenen Kinder ist stark gestiegen. Der Polizei wird vorgeworfen, daß sie Roma-Kinder immer wieder einsperren. Die Kölner Polizei weist dies weit von sich. Um ihre Unschuld zu demonstrieren, gingen die Beamten in die Offensive und leiteten ein Ermittlungsverfahren gegen sich selbst ein. Das Ergebnis steht noch aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen