: „Wenn es keine andere Hilfe gibt: Methadon“
■ Die Hamburger Ärztekammer sprach sich überraschend für Methadon, ein künstliches Opiat, zur Entkriminalisierung von Heroinabhängigen aus / Interview mit Dr. Klaus D. Damm, geschäftsführender Arzt der Hamburger Ärztekammer
Für den Einsatz von Methadon in der Therapie Drogenabhängiger hat sich die Hamburger Ärztekammer Anfang Juni dieses Jahres erstmals öffentlich ausgesprochen - eine überraschende Stellungnahme, die viele Fragen zur praktischen Durchführung aufwarf. Diese Woche hat die Sachverständigen-Kommission der Ärztekammer getagt, die über die Anträge einzelner Drogenabhängiger und ihrer ÄrztInnen zur Durchführung einer Methadon-Therapie zu entscheiden hat. Die taz Hamburg sprach mit dem geschäftsführenden Arzt der Ärztekammer, Dr. Klaus D. Damm, über die Arbeitsergebnisse der Sachverständigen-Kommission und über Perspektiven einer „Substitutionstherapie“ in Hamburg.
taz: Herr Dr. Damm, die Sachverständigen-Kommission hat getagt. Wieviele Anträge von Drogenabhängigen liegen vor, wie wurde darüber entschieden?
Damm: Es liegen bis heute 57 Anträge vor, von denen fünf bis sechs entscheidungsreif sind. Von denen wiederum könnten zwei bis drei begründete Einzelfälle sein, in denen die Kommission einer Substitutionsbehandlung zustimmen würde. Beim Großteil der Anträge aber fehlen noch Unterlagen: beispielsweise eine fachliche Stellungnahme des behandelnden Arztes oder der Drogenberatungsstelle und Behandlungsunterlagen über bisherige Therapieversuche.
Wird die Antragstellung damit nicht zum bürokratischen Hürdenlauf für die Betroffenen?
Damm: Ich habe bisher nicht den Eindruck, daß hier eine nennenswerte Hürde entsteht.
Wie ist der Prüfungsausschuß besetzt - wer hat Zugang zu den persönlichen Daten der Betroffenen?
Damm: Es sind Ärzte und Vertreter anderer Berufsgruppen, die Erfahrung in der Behandlung Drogenabhängiger haben. Vertreter der Staatsanwaltschaft oder
der Behörden sitzen nicht im Prüfungsausschuß.
In der Kommission sitzt auch der Leiter einer staatlichen Drogenberatungsstelle, der seit zehn Jahren als flammender Methadongegner bekannt ist. Ist es eigentlich sinnvoll, daß solche Leute jetzt über die Anträge beraten?
Damm: Gegner des Methadons sind wir alle, wenn es als gleichwertige Alternative zur Abstinenztherapie diskutiert wird. Das Kriterium ist für uns: Methadon dann, wenn keine andere Therapieform in Frage kommt.
Die Richtlinien der Ärztekammer lassen da ja weite Interpretationsspielräume offen. Das führt in der Szene zur Verunsicherung - ist die Gefahr der Willkür nicht sehr groß?
Damm: Wir haben bewußt auf Kriterien im einzelnen - wie beispielsweise eine Altersgrenze - verzichtet, weil wir in der Kommission den Freiraum haben wollen, jedem Einzelfall gerecht zu werden. Wir wollen zum Beispiel
nicht einen achtzehnjährigen Abhängigen, bei dem wir davon ausgehen, daß er so ein Einzelfall ist, von dieser Möglichkeit ausschließen, nur weil es dabei eine Altersgrenze gibt.
Ich denke an den Fall eines drogenabhängigen Paares, wie es diese Woche in einem Zeitungsinterview vorgestellt worden ist. Die beiden haben noch nie eine Drogenberatungsstelle betreten, geschweige denn eine Therapieeinrichtung, aber sie meinen selbst, daß Methadon für sie eine Chance wäre, eine Atempause zu haben und über ihre Situation nachzudenken. Wäre eine Verschreibung von Methadon in diesem Fall denkbar?
Damm: Das käme wohl nicht in Frage, weil in diesem Fall ja wohl noch nicht nachgewiesen ist, daß es keine andere Hilfe gibt, drogenfrei zu werden. Da hätten wir auch aus rechtlichen Gründen Bedenken. Wenn wir nicht davon überzeugt sind, daß diesen Patienten mit keinem anderen Mittel
geholfen werden kann, wäre die Abgabe von Methadon ein Verstoß gegen das Betäubungsmit telgesetz.
Es gibt in Hamburg rund 200 Drogenabhängige, die regelmäßig Remedacen als Ausweichmittel verschrieben bekommen. Wie steht die Ärztekammer dazu?
Damm: Remedacen und Methadon sind beides Mittel, die man einsetzt, um Heroin zu ersetzen - von daher muß auch der ärztliche Umgang damit nach den gleichen Kriterien erfolgen. Wenn ein Arzt Remedacen oder andere Codein-Präparate so einsetzt, wie wir es in unseren Empfehlungen niedergelegt haben, dann ist das etwas, das wir nicht kritisieren.
Aber Sie haben die Ärzte, die Remedacen verschrieben haben, doch lange Zeit kritisiert?
Damm: Die Fälle, die ich schwarz auf weiß auf meinem Schreibtisch liegen hatte - beispielsweise in Form von Anzeigen - waren nie welche, bei denen es um die Frage ging, ob eine Substitution sinn
voll ist oder nicht. Da ging es darum, wie Remedacen eingesetzt wurde, und das war so grob fahrlässig, daß allein aus dem Grund die Ärzte zu bestrafen waren. Fälle, wo Ärzte Drogenabhängige noch ausnutzen, indem sie die Rezepte gegen eine zusätzliche Gebühr verkaufen. Oder sagen: Du schickst mir deine Freundin, die steht mir zur Verfügung für alles, was ich von ihr will, und dafür bekommst du deine Rezepte.“ Solche Dinge kommen vor und machen uns ganz große Sorgen. Wir können aber auch nicht hinnehmen, wenn jemand, der keine Rezeptgebühr nimmt, ohne Konzept und ohne sich um den Patienten zu bemühen, einfach immer nur Rezepte aufschreibt. Es sind immer nur die Sorgfaltspflicht-Verletzungen, die wir gerügt haben, nie der Einsatz des Ausweichmittels an sich.
Wie soll die Ausgabe des Methadons künftig erfolgen?
Damm: Unsere Vorstellung ist zur Zeit, daß die Ärzte das in Zusammenarbeit mit ihrer Vertrauensapotheke regeln, so daß die Patienten morgens, wenn die Apotheke öffnet, dort ihren Levo-Methadon-Schluck einnehmen können. Das wäre eine wirklich sehr bürgernahe Lösung, über die wir uns mit der Apothekerkammer noch einigen müssen.
Thema psychosoziale Betreuung. Sie haben eine zusätzliche Einrichtung gefordert, die Behörde will sie nicht schaffen.
Damm: Uns ist vom Gesundheitssenator Runde zugesagt worden, daß die psychosoziale Betreuung mit dem Personal, daß im Augenblick zur Verfügung steht, geleistet werden kann. Ich denke auch nicht, daß jetzt gleich der ganz große Schub kommt. Alle Erfahrungen zeigen, daß mit einem sorgfältig kontrollierten Methadon-Einsatz auch nicht alle Drogenabhängigen erreicht werden...
Aber nur fünf Prozent der Hamburger Drogenabhängigen wären
schon 200, und die angespro chenen Fachkräfte in Hamburg sagen ganz klar, daß sie den zusätzlichen Aufwand nicht leisten können. Was halten Sie von der Idee des Senators, diese Betreuung über niedergelassene Psychotherapeuten abzuwickeln, die allerdings gegenüber den Krankenkassen abrechnungsfähig sind?
Damm: Ich halte das nicht für realisierbar, weil es diese niedergelassenen Therapeuten, die auf dem Gebiet Erfahrung haben, in Hamburg nicht gibt. Die ambulante Drogenberatung liegt nun mal nicht in der Hand der Psychotherapeuten, da haben sich andere Berufsgruppen in den letzten Jahren hineingekniet und qualifiziert. Es sind vor allem die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die diese Arbeit leisten können. Für die Zukunft wird die Kommission dann auch klare Anforderungen an die Sozialbehörde formulieren.
Interview: Irene Stratenwerth, taz Hambur
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