: Mißtraue dem Hund (Ein Kurzfilm)
Dem Schäfer sind die Schafe genommen, seinem Hund sind sie entkommen. Beide agieren in einer ausgeschlachteten Imbißbude gegenüber dem ausgeglühten Kulturdenkmal „Krupp Rheinhausen“ aus der Stahlzeit des Ruhrreviers.
Hund (sitzt auf seinen Hinterläufen und fixiert erwartungsvoll den Mund des blinden Schäfers).
Schäfer: Die Dienstbereitschaft geht mir auf die Nerven. Ich hab keine Befehle mehr für Dich.
Hund (steigt drängend an ihm hoch und erreicht spielend Mannsgröße).
Schäfer: Als wir noch zur Herde gehörten, waren wir Bestandteil der Gesamtarbeiterschaft. Da warst Du Hund ohne Schäfer noch gar nicht denkbar.
Hund (leckt ihm das Gesicht und zieht ihm den Filzhut vom Kopf, so daß die Metallplatte der Kriegsverletzung des Schäfers sichtbar wird).
Schäfer: Steh zu Deiner Natürlichkeit. So wie ich jetzt Künstler bin. Wir sind frei, ohne produktiven Zweck.
Hund (streicht mit der Nase über sein Geschlecht und uriniert an Schäfers Hose).
Die Kamera verharrt auf triefender Hose und wirft die Frage auf, ob diese Hose auch als Einzelobjekt erwerbbar ist.
Schäfer: Die Imbißbude ist zur Vitrine geworden. Alles, was wir darin tun, ist in erster Linie ästhetisch und interessant.
Hund (gähnt in höchster Erregung und zeigt seine Zähne).
Schäfer: Die Performance ist Realität, sowohl die des entlassenen Schäfers wie auch die des autonomen Hundes...
Hund (zeigt sich ursprünglich und fällt den Schäfer ohne Hunger an).
Aus dem blinden Schäfer gurgelt das Leben.
Aus: „Das Jahr des Hundes“ von Ernst Baumeister
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen