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Drama in mehreren Durchzügen

■ Zwanzig Jahre „Fabulous Furry Freak Brothers“ - Rudolf Stoert sprach mit dem Erfinder der populären Comic-Anarchos Gilbert Shelton und seinem Co-Autor Paul Mavrides

Im Jahr 1968 gründen vier Texaner in San Franciso die „Rip -off-Press“, um für sich - alle vier sind Comic-Zeichner mehr Rechte zu erstreiten. Noch im selben Jahr verlegen sie Gilbert Sheltons „The Adventures of the Fabulous Furry Freak Brothers“. Die „Freak Brothers“ finden schnell eine wachsende Anhängerschar, ihr Slogan „Dope bringt einen besser durch Zeiten ohne Geld, als Geld durch Zeiten ohne Dope!“ wird weltweit immer wieder zu hören sein.

Im Juni 1988 feierten die „Fab. Brothers“ ihren zwanzigsten Geburtstag, während der Rest darbender Relikte der sechziger Jahre unweigerlich hinwegfault(e) - von Sheltons eigenen Figuren starb „Dealer McDope“ 1982, und der anarchistische „Wonder Wart Hog“ ist zu unregelmäßigem Dasein verdammt, scheint sich das Trio unverantwortlicher, sexistischer, drogenabhängiger Rabauken auf eine mythische oder astrale Ebene geflüchtet zu haben, von der aus sie weiterhin operieren.

Shelton selbst lebt in Paris, wo er zur Zeit zusammen mit Co-Autor und Co-Zeichner Paul Mavrides (San Francisco) an einem neuen Comic arbeitet, der Ende 1988 veröffentlicht werden wird. In Paris fand auch das folgende Gespräch statt; inmitten eines Berges unmöglichster Spielzeugautos, merkwürdiger Zigaretten und einer abgebildeten Geburtstagstorte mit Hanfblättern aus grünem Zuckerguß.

Stoert: Zwanzig Jahre sind eine reichlich lange Zeit für einen Comic oder seine drei Helden. Und in all den Jahren haben sie sich überhaupt nicht verändert?

Shelton: (setzt seine Lesebrille ab) Ja, das ist unglaublich! Sie werden nie krank, altern nicht; jemand müßte ihnen mal etwas über die harten Fakten des Lebens beibringen.

Ich hatte irgendwann einmal die Vision, daß Extraterristrische die ungeheure Popularität der „Freak Brothers“ bemerkt, die Charaktere entführt und stattdessen ihre eigenen Leute eingesetzt hätten, um den Comic für ihre unheiligen Zwecke zu mißbrauchen.

Shelton: Uuuh, verdammt nah dran. Paul ist ja Gründungsmitglied der „Church of the SubGenius“, und die stehen tatsächlich mit „X-ists“ in Verbindung. Aber hauptsächlich zeigt sich nur, daß wir mehr Alkohol-Witze machen, die wir in Marihuana-Witze umformen.

Viele der Kulte aus den Sechzigern sind verschwunden. Wie erklärt ihr euch, daß die „Freak Brothers“ noch immer so beliebt sind?

Shelton: Franklin, Freddy und Phineas repräsentieren den antiautoritären Geist. Den spielerischen Witz, den Joker, Prankster, Huck Finn. Leute haben Spaß, so etwas zu lesen, weil sie im „richtigen Leben“ nicht so sein können. Es kommen ja auch jede Menge Leute zur „Rip-off-Press“ in San Francisco, um zu sehen, was wir - die Zeichner - so treiben, wie wir leben. Die sind dann meist enttäuscht, weil sie diese Zeichnungen kennen, in denen das Verlagshaus als ein riesiges Gebäude mit viel Glas und Swimmingpools usw. dargestellt ist, und wenn sie dann das echte Gebäude sehen ... (lacht)

Kein Hugh-Hefner-Spielplatz?

Shelton: (lacht) Als wir 1968 die „Rip-off-Press“ gründeten, hatten wir zu viert gerade mal 1.000 Dollar. Das reichte für eine second-hand Offset-Druckmaschine, die wir ins loft der alten Mowry Oper stellten. Da war sogar mal das Rathaus drin gewesen (lacht), aber als wir einzogen, war es nur noch eine verrottende Bruchbude, und durch die eingeschlagenen Fenster blies kalter Wind. Und obwohl das loft die Größe eines football-Feldes hatte, installierten wir die Presse an dem einzigen Ort, den man heizen konnte in der Herrentoilette.

Aber nach zwanzig Jahren und x Auflagen „Freak Brothers“ ist das doch sicherlich anders?

Shelton: Es gibt jetzt Telefonisten und Pförtner, die sich um all die maniacs kümmern, die kommen, um Gras und Koks zu kaufen, oder um die maniacs, die unser teuflisches Tun verhindern müssen.

Mavrides: Als wir 1981 in Dallas, Texas, den ersten internationalen „Church of the SubGenius„-Kongreß veranstalteten, kamen jede Menge solch tapferer Kämpfer gegen die Verschwörung der „Normals“. Es gab da diesen Typen, der stand nackt und mit weißer Farbe bemalt auf den Bahngleisen und wirbelte an Seilen zwei tote Hunde - die die Eisenbahn überfahren hatte. Die Polizei nahm ihn dann wegen Betreten des Gleiskörpers fest und die Presse machte ein wunderschönes Foto, das in fünfzig Zeitungen in ganz Amerika abgedruckt wurde. Wilde Gerüchte darüber, was die „Church“ während der geheimen Riten alles mit Tieren anstellt (seine Augen funkeln) breiteten sich aus. (Beide lachen) Das brachte uns einen sehr schlechten Ruf ein ...

Shelton: Aber besser ein schlechter Ruf, als überhaupt keine Bekanntheit.

Mavrides: ... und diese Sache mit den toten Tieren brachte dann auch Mark Pauline („Survival Research Laboraties“) mehr Aufmerksamkeit ein.

Und was macht ihr sonst noch? Wie ist das Arbeiten mit Gilbert?

Mavrides: Bis auf einige eher anstrengende Gewohnheiten von Gilbert, wie gelegentlich mit einer 45er in die Decke zu schießen, wenn er von einer Idee besessen ist, oder seine subkutanen Nadeln in einem elektrischen Bleistiftspitzer zu schärfen - was ein wirklich irritierendes Geräusch ergibt, macht es - wie ich zugeben muß - Spaß. Zum Beispiel ist Gil nicht schüchtern, wie immer wieder von Leuten behauptet wird, sondern einfach reichlich stoned.

Shelton: (schreit) Niemals!

Mavrides: Man sagt's und er verleugnet's.

Wir hören head-banging speed-thrash mit 200 dB und wenn unser sehr kurzer Arbeitstag beendet ist, gehen wir in Clubs, wo wir uns dann ernsthaft unserer Entspannung widmen. All die Schädel sprengenden hangover und die haarsträubenden Gewaltexzesse ..., das kostet Kraft und Energie, aber es ist die einzige Möglichkeit, um an einem solchen Comic wie den „Freak Brothers“ zu arbeiten.

Und ich hatte immer gedacht die „Freak Brothers“ wären fiction...

Shelton: Also ich kenne etliche Personen, die mir erzählen, sie würden den Einen oder Anderen der Drei in ihrem Bekanntenkreis haben.

Mavrides: Und vergiß nicht diese mysteriösen Anrufe bei „Rip-off“ ... Zuerst ein donnerndes Rülpsen, dann diese wirklich fette Stimme: „Hallo, ist da niemand???“ und dann eine andere Stimme: „Gib mir das Telefon, Fat Freddy! Hi! Dies ist eine exakt errechnete Struktur magnetischer Teilchen, um eine menschliche Stimme zu imitieren. Wir kommen heute vorbei!“

Und dann erzählen sie euch neue stories?

Shelton: Naja, manche. Die meisten Ideen klauen wir ganz einfach.

Ich werde dich nicht fragen, wie oft dir schon die folgende Frage gestellt wurde: Gibt es ein Abenteuer von Franklin, Freddy und Phineas, das dir besonders gut gefällt?

Shelton: (lacht) Ja, du hast Recht, das ist wirklich eine Frage, auf die kaum jemand kommt. Also, es gibt diese story, in der Fat Freddy durchdreht und einen Nacht-Supermarkt ausräumt. Er ist stoned und kommt auf einen Freßtrip. Aber niemand behindert ihn, als er sich wie ein Tier über den food hermacht, weil Franklin und Phineas den Besitzer überzeugen, das alles für „Candid Camera“ (in etwa der deutschen „Versteckten Kamera“ entsprechend) gedreht würde.

Oh ja, in meiner Erinnerung gefällt der mir auch sehr.

Mavrides: Es ist in Amerika ja tatsächlich so, daß du alles machen kannst, wenn du eine genügend große Kamera dabei hast. Als wir ein Video für „Church of the SubGenius“ drehten, waren wir auch auf der Dealey Plaza (der Platz an dem das inzwischen weltberühmte Kennedy-Attentat stattfand). Normalerweise ist das ein streng bewachter Komplex, da darf keiner hin. Wir kommen also an, die Polizei sieht unsere Kamera und die Ausrüstung und leitet den Verkehr für uns um. Ohne große Fragen. Das war schon eine wertvolle Hilfe. (Alle lachen) Obwohl ansich an der Dealey Plaza ja nichts besonderes dran ist; Generationen von Desaster-Touristen haben hier einen Stein weggenommen, da ein Stück Mauerwerk rausgebrochen usw. Der ganze Platz ist ripped.

Und deine Lieblingsstory der „Fab. Freak Bros.“?

Mavrides: Die ist nie erschienen. Wir arbeiteten gerade an einem Comic, in dem auch das „Space Shuttle“ vorkam. Im Comic stürzte es ab. Das traf sich dann mit dem realen Absturz und wir brachen den Comic ab. Das hätte man nicht veröffentlichen können.

Hey, was für ein „unerklärliches Zusammentreffen zufälliger Begebenheiten“. Ich habe neulich noch Post von einem Freund bekommen, der erzählte, er hätte damals einen cut aus SF -Filmen gemacht, darin wäre ebenfalls ein fiktionaler „Shuttle„-Absturz vorgekommen, und am nächsten Tag sei das Ding dann runtergekommen.

Shelton: Der „fake“ scheint immer echter zu werden. Hier in Paris ist jetzt diese Riesenausstellung über „fakes„; hunderte falscher „Mona Lisas“, gefälschte Markenuhren, usw.

Kennst du die Videos von Doc Smith?

Nein.

Shelton: Der machte Videos mit animiertem Lehm.

Mavrides: Sahen ganz offiziell aus. Sollten als Trainingsfilme für die Army gelten.

Shelton: Genau, Trainingsfilme für den Fall einer Invasion auf dem Mars. Die Filme zeigten das Verhalten der dortigen Lebensformen. Das waren immer kurze Stücke: Das Sexualverhalten der Marsianer, Angriffstechniken, etc.

Mavrides: Und das wurde mit einem sehr, sehr wissenschaftlichen Text unterlegt. Also, du siehst so etwas Wurmähnliches, das bewegt sich, teilt sich, und dazu hörst du die Erläuterung, daß es sich hierbei um die artspezifische Form der Vermehrung handele.

Hört sich vielversprechend an. Hoffentlich wird die Army gut vorbereitet sein.

Mavrides: (lacht) Bestimmt. Wie immer. Die Zukunft wird's zeigen.

Gilbert, die „Freak Brothers“ entstammen den Sechzigern und auch die stories, die ihr schreibt, sind meist in den Sechzigern angesiedelt. Keine Vorstellung, wie die Neunziger werden?

Shelton: Ich sehe leuchtende Wolkenkratzer ... und Verkehrsstaus! Mehr Autos, als man sich jemals vorgestellt hat und alle hupen wie die Wilden! Feuerwehrautos und Krankenwagen sitzen fest, ihre Sirenen jaulen. Aus Sympathie und Schmerz heulen überall Hunde. In jedem stehenden Auto spielt laut ein Radio, natürlich jedes auf eine andere Frequenz eingestellt. Gangs bewaffneter Killer greifen, ohne einen Unterschied zu machen, jedermann an. Perverse sind hinter jeder Ecke verborgen und beleidigen und attackieren die Passanten. Ich sehe Horden hungernder Menschen, die aus den ausgedörrten Landstrichen kommen. Überall auf der Erde brechen schlampig gebaute Atomkraftwerke zusammen und senden Wellen kontaminierter Wolken in alle Richtungen. Ich sehe Billionen von Heuschrecken kommen, die auf ihrem Weg alle Vegetation und die kleineren Tiere fressen. Die Flüsse sind brodelnde, blubbernde Kloaken voller Chemikalien und Müll! Die Gesellschaft zerbricht! Jeder kämpt für sich alleine! Draußen vor der Tür ist ... ist ... verdammt, es sind nur die Achtziger, die ich sehe! Ich scheine von den Neunzigern nichts zu empfangen. Trotzdem, ich werde es weiter versuchen.

Auf Deutsch sind die Abenteuer der „Freak Brothers“ im Volksverlag, bei 2001 und bei Rotbuch erschienen. Die Abbildungen stammen aus dem Sammelband von Zweitausendeins.

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