: Eine Mega-Her(t)zensreise durch die Republik
■ Kurzportraits der Querfunk-Initiativen, die sich mittlerweile zwischen Alpenrand und Algenstrand angesiedelt haben
Querfunk-Iniativen im Portrait - mit Frequenzangaben und Telefonnummern, denn was diese anderen Radios brauchen, ist ein aktiv zuhörendes kritisches Publikum.
Radio Dreyeckland (RDL)
RDL ist das traditonsreichste Projekt. Am 9.Juli '88 feierte es seinen elften Geburtstag. Erstmalig gab's im Frühjahr 1988 eine offizielle Sendegenehmigung für sechs Stunden täglich, gesplittet auf zwei Frequenzen, die ansonsten von kommerziellen Anbietern belegt sind, 'Badische Zeitung‘ und 'Radio Freiburg 1‘. An deren heftigem Widerstand scheiterte der geplante Auftakt, bis unverhofft die Kunde vom Durchbruch erklang: ab 23.Juli auf 100,7 MHz - Montag bis Freitag 20 bis 24 Uhr, Samstag/Sonntag zusätzlich 10 bis 14 Uhr.
Laut Konzept und Tradition geht alle Macht von den HörerInnen aus, sie können jederzeit ins Studio durchrufen, zur öffentlichen Redaktionssitzung kommen, und nach einer gewissen Zeit auch ehrenamtliche MitarbeiterInnen werden. Einige Sendeplätze oder Gelegenheit im Gruppenradio haben Frauen, Schwule, Arbeitslose, SchülerInnen, aber auch hart um Konzertchancen kämpfende Bands. Keinerlei Werbung, dafür um so mehr Spenden sollen den Betrieb finanzieren.
Radio Dreyeckland, Freiburg, Adlerstraße 12, Tel: 0761/30407
LORA
LORA hat bisher trotz gerichtlicher Schritte immer noch keine Sendeerlaubnis erhalten. Nach der Sommerpause will man überschlagen, ob das Geld für eine weitere Klage reicht (veranschlagte Summe circa 50.000 Mark). Beantragt sind drei Stunden tägliche Sendezeit. Das Konzept orientiert sich an Vorbildern wie Freiburg und den Namensvettern in Zürich. Wenn irgend möglich will man ohne Werbung auskommen. Inhaltliche und redaktionelle Vorbereitungen laufen seit einem Jahr. Engagierter Lokaljournalismus unter ZuhörerInnenbeteiligung steht auf dem Programm. Hier sollen Gruppen und Menschen zu Wort kommen, die sonst in den Medien wenig Beachtung finden. Solange die eigene Lizenz auf sich warten läßt, produzieren die LORA-MitrarbeiterInnen Beiträge für Radio Z, für Korah und organisieren Tagungen zum Thema Lokalradio.
LORA (Lokalradio) München, Schwanthaler Straße 76, Tel. 089/5380515
Radio Z
Obgleich ebenfalls im Bayerischen hatten die Z-Leute etwas mehr Glück als LOLA. Die Frequenz, so heißt es, wurde ihnen anfänglich regelrecht auf dem Silbertablett angedient. Zwischenzeitlich aber hatten auch sie sich einigen Ärger eingehandelt aufgrund ihrer Inhalte. „Permanente Verunglimpfung der Kirche“, ein Schwulenprogramm und ein indirekter Aufruf zur Hausbesetzung wurden ihnen vorgehalten. Unvermittelt und aufgrund unseriöser Abstimmungspraktiken sprach der bayerische Medienrat ein Verbot für Radio Z aus. Doch der Gang vors Verwaltungsgericht bewirkte per einstweiliger Verfügung die Fortsetzung des Sendebetriebs. Inzwischen ist die endgültige Genehmigung erteilt worden.
Der Programmbetrieb (täglich 17 bis 20 Uhr auf 95,8 MHz) hat sich mitlerweile eingespielt: Radio Z legt nicht nur Wert auf geistreiche Themen und sorgfältig recherchierte Hintergründe, sondern auch auf hörbare Präsentation. Publikumsbeteiligung ist nachdrücklich erwünscht, Anrufe werden natürlich spontan eingespielt. Über mangelnde Resonanz in dieser Hinsicht läßt sich keineswegs klagen. Die finanzielle Lage allerdings ist kritisch; an zahlenden Mitgliedern und SpenderInnen fehlen noch einige tausend, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Aus dieser Notlage heraus sollen nun die Abgründe der Werbefinanzierung retten.
Radio Z, Nürnberg, Hintere Ledergasse 10, Tel.: 0911/222845
Linksrheinischer Rundfunk
Der Sender, der von nimmermüden sozialdemokratischen Kreisen unterstützt wird und überdies die Hörerschaft mit Werbespots beglückt, findet in den Reihen der Alternativ-FunkerInnen keinen großen Anklang. In der Außendarstellung gibt sich der LR jedoch als bürgernah undruft sein Publikum auf, sich als VolkskorrespondentInnen zu fühlen. Die Themen reichen von Umwelt- und Friedensbewegung, inklusive Veranstaltungshinweisen und Serviceteil, über lokale Ereignisse bis hin zum „Rush-Hour„-Programm. Der LR verfügt über eine recht knapp bemessene Sendezeit von genau 75 Minuten am Tag (16 bis 17.15Uhr), wovon eine halbe Stunde montags bis freitags die fünf Regionalstudios bestreiten (100,6 - 103,6 - 101,5 - 102,9 - 103,1 MHz). Die verbleibende Zeit wird landesweit ausgestrahlt.
Linksrheinischer Rundfunk, Mainz, Walpodenstr.10, Tel.: 06131/232994 (Ludwigshafen: 0651/5981282; Koblenz: 0261/12166; Trier: 0651/45012; Kaiserslautern: 0631/66039
Radio X
Eine Initiative von AvantgardekünstlerInnen, die sich auf Radio-Experimente und Soundkollagen kapriziert hat, und die man, in Ermangelung jedweder privaten Frequenzen in Hessen, bis vor kurzem noch per Anrufbeantworter abhören konnte. Dreimal war es ihnen vergönnt, unter der Obhut des Hessischen Rundfunks ihr Kunstradio eigenständig zum Besten zu geben. Das letzte Mal zehn Tage im Mai, wo sie mit einem mittelmäßigen Skandal Aufsehen erregt hatten. Zum Eklat kam es, als sich die Macher in ihrer Vorstellung, Kunst und Politik seien zu trennen, auf den Schlips getreten fühlten. Eine Gruppe von Studenten schmuggelte ihnen die brisante Rede eines Konditors, die vom Hessischen Rundfunk einst zwar prämiert, aber nicht ausgestrahlt worden war, in die Sendung. Das war den Künstlern zuviel, und sie griffen nach einer bisher nicht geübten Methode der Zensur: Abbruch. Seitdem schweigt auch der Anrufbeantworter. Aus Wiesbaden heißt es, Leute von Radio X hätten sich als Veranstalter für einen offenen Kanal beworben.
Radio X, Frankfurt, Nordendstr.13, Tel.: 069/5962205
Radio 100
Radio 100 sendet seit 1.März 1987, und kämpft nach heftigem Streit um die Frequenz jetzt auf 103,4 MHz von 17 bis 23 Uhr. Die Anbietergemeinschaft, an der die taz beteiligt ist, bietet in ihrem Programmspektrum neben einer täglichen Frauensendung u.a. Nachrichten und Kommentare zu aktuellen Vorgängen, Kultur- und Programmtips, Beiträge in kurdischer Sprache, eigene Schwulensendung sowie Raum für experimentelle Hörerlebnisse. Eine wöchentliche Forumsendung lädt zu telefonischer Beteiligung ein. (Themen wie: Sterbehilfe, linke Anwälte für Vergewaltiger, Hausbesetzungen, DDR) Die finanzielle Decke ist dünn, Mitgliedsbeiträge tröpfeln spärlich ein, und Werbeaufträge acquirieren sich ebenso zögernd. Das Spezifische der Berliner Frequenzvergabe ist die Vorschrift der Werbefinanzierung, die der Verhinderung von Sponsoren-Radio und Medienkonzernen dienen soll.
Radio 100, Berlin, Potsdamerstr. 131, Tel: 030/2164081 -6
Korah
Korah (Kommunales Radio Hamburg) hat sich an Silvester 1987/88 in den lokalen Wellengang aufgeschwungen. Nach der Devise „nicht kleckern, sondern klotzen“ wird rund um die Uhr gesendet mit reichlich angestrebter Werbung und einem 1.2-Millionen-Etat. Als gemeinnützige Anbietergemeinschaft, bestehend aus Organisationen wie BUND, Robin Wood, Musikhochschule etc., hat Korah eine Lizenz auf 97,1 MHz erhalten. De facto allerdings fällt die Gemeinnützigkeit flach; die Betreiber-GmbH, die mit ökonomisch geschultem Unternehmergeist die Geschäfte verwaltet, hat eindeutige andere Interessen. Korah bietet zwei Stunden „Radio-Bühne“ pro Woche an, wo sich alle austoben können, dazu eine halbe Stunde Hörergespräch. Volle viereinhalb Stunden lang beschäftigt sich das „Bezirksradio“ von Montag bis Freitag mit dem Stadtteilgeschehen. Hinzu kommt ein fester Sendeplatz für Dritte-Welt und AusländerInnenprobleme.
Korah, Griegstr.75, Tel: 040/8807054
OK Radio
Okay hat sich seit dem 1.März 1988 in Hamburg zu Korah hinzugesellt, ebenfalls mit einem Sprung in den Rund-um-die -Uhr-Sendetag auf 95,0 MHz; gemeinnützig, kommerziell, getragen von verschiedenen Gruppen mit unübersehbarem gewerkschaftlichen Einschlag. Stündlich sind unvermeidliche Werbespots eingeflochten. Seit Klaus Schulz, Unternehmer vom kommerziellen Stadtblatt 'Oxmox‘, unzulässigen Einfluß auf Redaktion und damit auch aufs Programm durchboxt, gibt's bei OK den ersten offenen und knallharten Krach zwischen kommerziellen Interessen und gemeinnützigem Programmangebot, soweit noch erkennbar. OK macht immer mal Beteiligungsaktionen, aber keine besonderen „Gettosendungen“ für Frauen, AusländerInnen oder Knackis - diese sollen im allgemeinen Programm ausreichend zu Wort kommen.
OK Radio, Hamburg, Spaldingstr.218, Tel: 040/233211
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