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Querfunken oder Überleben um jeden Preis?

■ Etwa zehn Querfunk-Iniativen tummeln sich derzeit im nicht-kommerziellen Bereich des Äthers zwischen Alpenrand und Algenstrand / Was sie eint ist der Anspruch, anderes Radio zu machen, was sie trennt ist der Glaubenskrieg über Werbung, Professionalität und Basisbezug

„Kann denn Senden Sünde sein?“, so fragten einst die Radio -Piraten und sendeten, frei nach dem Motto „Der Äther gehört allen“, von Baumwipfeln und Dachböden aus ihre Botschaften in die Region. Nun, nachdem die kommerziellen Privatstationen auf den Plan getreten sind und das Frequenzgerangel auch vor den Alternativen nicht halt macht, hat diese Parole längst ihre Unschuld eingebüßt. Denn der Sündenfall ist bereits eingetreten und hat die alternative Radiobewegung in zwei heftig widerstreitende Lager gespalten. Die eine Seite würde es heute vielleicht so formulieren: Kann denn Werben Sünde sein? Während die andere für sich reklamiert: Lieber tot als Werbespot! Ein Grabenkrieg über Werbung, Professionalität und Basisbezug begleitet seither die vereinzelten Versuche, inmitten kommerzieller Konkurrenz Querfunk zu machen.

Mindestens zehn Querfunk-Initiativen gibt es derzeit zwischen Alpenrand und Algenstrand. Ob sie sich alternativ nennen oder nicht - sie tragen alternative Ansprüche wie freien Zugang für alle HörerInnen, Protest gegen die herrschende Politik, Selbstverwaltung, Einheit von privater und öffentlicher Sphäre mit sich. Ein Teil sendet bereits, andere erhoffen sich noch Erfolgsaussichten im Frequenzpoker. Nicht zuletzt an den Unterschieden in der Länder-Mediengesetzgebung liegt es, daß so viele uneinheitliche Formationen und Konzepte existieren. Ebenso variieren die zu vergebenden Sendezeiten zwischen täglich einer und vierundzwanzig Stunden. Alles Faktoren, die den Vergleich ums richtigere oder oder falschere Konzept brisant machen. Minimalkonsens dürfte allerdings der Anspruch sein, dem Happy-Yuppie-Dudelwellen-Einerlei weniger Belangloses, dafür Basisnäheres und kulturell Anspruchsvolleres entgegenzusetzen. Doch Mittel und Wege, Organisations- und Sendeformen, fallen bei näherer Betrachtung ziemlich verschieden aus.

Spätestens seit dem letzten „Querfunkratschlag“ anläßlich der Funkausstellung im Herbst 1987 in Berlin sind die Fronten deutlich. Damals standen sich unter anderem Radio Dryeckland (RDL) aus Freiburg und Radio 100 (Berlin) gegenüber und wetteiferten um die bessere Methode für alternativen Rundfunk. RDL, legendärer Bewegungssender, tummelt sich seit nunmehr elf Jahren hartnäckig im Freiburger Äther, Peildiensten und Verfolgungsbehörden zum Trotz, und steht wie eine Festung in der Tradition der Freien Radios. Radio 100 hat sich zu Berliner Konditionen auf eine Privatfunkfrequenz gewagt, Werbefinanzierung akzeptiert, um alternatives Programm zu machen.

Daß es ein Richtungsstreit werden würde, war bereits im Vorfeld klar. Erwartungsgemäß verrannte sich die Kontroverse in einen Prinzipienstreit, ging es doch um so pikante Fragen wie Finanzierungsmodelle, redaktionelles Selbstverständnis, nebst Zweifeln an der Realitätstauglichkeit des alten Bertolt Brecht - sprich seiner Radiotheorie: „Ich wäre gerne Kommunikationsapparat“, ließ ein Mitarbeiter vernehmen, aber verlesene Kommandoerklärungen und Betroffenenberichterstattung, ein Programm allein von der Basis gestaltet, könne man ernsthaft niemandem zumuten. Dann doch lieber unter Berücksichtigung gewisser Hörgewohnheiten, kritisch, frech und chaotisch sein, Konflikte zuspitzen, journalistisch pointierte Beiträge und Hintergrundrecherche anbieten.

Die Gegenseite konterte voll ungebrochenen Respekts vor der Authenzität: Wir brauchen keine weiteren Meinungshändler und Kommentatoren, die uns die Welt interpretieren, jedermensch soll zu Wort kommen, „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“. Radio zum Selberbasteln. Unmittelbarkeit und Verzicht auf standardisierte Sprache ist die Zauberformel, die das Medium revolutionieren und den lokalen Kommunikationsprozeß in Gang setzen soll.

Radio Dreyeckland versteht sich als Gesellschaftsfunk in Selbstverwaltung, der die HörerInnen aktiv einbezieht. Beschworen wird die Verankerung in der Region und der örtlichen Bewegung. Verfolgung und Kriminalisierung haben dem „Sendungsbewußtsein“ keinen Abbruch getan. Alle können und sollen sich einmischen, durch eigene Beiträge oder per Telefon. Redaktionelle Eingriffe sollen so knapp wie möglich gehalten werden. Forum für Selbstdarstellung von Gruppen und Initiativen ist das sogenannte „Gruppenradio“, fester Bestandteil des Programms. Öffentliche Redaktionssitzungen, Hörer- und Mitgliederversammlungen und vor allem Werbefreiheit sind die erklärten Säulen gesellschaftlicher Kontrolle. Die Finanzierung will man ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge bestreiten, Werbung kommt nicht in Frage.

Etwas anders stellen sich Projekte wie eben Radio 100, RadioZ in Nürnberg oder auch Korah in Hamburg das Radiomachen vor. Sie wollen mehr sein als schlichtes Verlautbarungsorgan der Szene, und beschäftigen sich überdies mit der Frage: Wie mache ich Information hörbar? Eine Angelegenheit, die aber unweigerlich gekoppelt ist mit professionellen Ansprüchen und zumindest bescheiden bezahlten Stellen.

Radio 100, das „dienstälteste Lokalradio Berlins“, seit März 1987 auf Sendung, ist schon von allerhand Krisen heimgesucht worden: Interne Zerrüttung, Geldprobleme, anhaltender Überlebenskampf im Mediendschungel der Großstadt haben den Alltag des ersten Jahres überschattet. Das dabei personell und konzeptionelle einiges auf der Strecke blieb, ist gewiß zu bedauern, trotzdem lautet das Urteil eines kritischen Zuhörers: „Sie sind viel besser geworden, inzwischen hör‘ ich richtig gerne zu.“

Die beiden Hamburger Modelle hingegen, Korah (Kommunalradio Hamburg) und OK-Radio, beide gemeinnützig-kommerziell ausgerichtet, haben nach einem halben Jahr Sendeerfahrung den Durchbruch noch nicht geschafft. Ihnen sitzt der zweite Träger, die an Wirtschaftlichkeit interessierte Betreibergesellschaft, im Nacken. Die vorgeschriebene Trennung von Anbieter und Betreiber sorgt für reichlich Zündstoff. Keiner gibt Geld für ein Programm, das ihm nicht paßt, bzw. die werbetreibende Branche vergrault. Die Unabhängigkeit der Redaktionen steht somit lediglich auf dem Papier.

Die schärfste Kritik entzündet sich denn auch an der Bereitschaft zur Werbefinanzierung. Zur Begründung werden Sachzwänge angeführt wie: Abhängigkeit von Werbemärkten, Profitorientierung, Nachweis von Hörerkaufkraft-Analysen, Anpassung des Programms an Erfordernisse der Breitenwirkung, und damit Abweichung von klaren politischen Inhalten und Positionen, vor allen Dingen auch zwangsläufigen Einfluß auf die Programmstruktur: Morgen-, Mittags-, Abend„magazinitis“, hohen Musik-, geringen Wortanteil. Mit anderen Worten, Basisradio und Werbung schließen sich aus.

Offensive Verfechter der Werbe-Finanzierung, etwa der Linksrheinische Rundfunk, sehen solche Probleme nicht. Die Werbung habe keinerlei Einfluß auf das Programm, werde in abgetrennten Blöcken gesendet und sei nun mal notgedrungen zur Finanzierung erforderlich; überdies als Quelle gewinnbringender Umsätze sowieso untauglich. Bei einem Preisverfall bis auf 1,20 Mark pro Werbesekunde würde mit Sicherheit niemand Millionär. Eher zögernd und von der Wirklichkeit eines Besseren belehrt, steht daneben RadioZ, dem die gewünschen Spenden und Mitgliederbeiträge ausblieben, so daß es sich zähneknirschend mit Werbeeinahmen retten will. Noch etwas anders liegt der Fall bei Radio 100, welches qua Mediengesetz die Werbefinanzierung oktroyiert bekam.

Werbefrei oder kommerziell, Betroffenenberichterstattung oder Semiprofessionalität, das sind die Gegensatzpaare, um die leidenschaftlich gefochten wird. Das starre Festhalten an formalen Kriterien jedoch sorgt zuverlässig dafür, daß die Diskussion über das Stadium organisatorischer und finanztechnischer Rechthaberei nicht hinausgelangt. Vollständig im Dunkeln bleibt dabei, wie sich die jeweiligen Sendungen eigentlich anhören, über die da so eifrig gemutmaßt wird, daß sie besser oder schlechter seien, weil mit oder ohne Reklamespots ausgestrahlt. Ein Gehörlosenstreit.

Bei allen Radios, so sieht's aus, wechseln gelungene, wirklich querstehende Sendungen mit langen Stunden, in denen unklar bleibt, warum jemals ein aufmüpfiges Wort gegen unsere althergebrachten Rundfunkanstalten gefallen ist, und bisweilen wähnt mensch sich auf der Schüler-Version eines kommerziellen Happy-Radios. Leider, leider sind die Programme keineswegs einfach umso besser, je weniger die Werbung und je mehr die Basis beteiligt ist. Klar ist soviel: die Chancen der Querfunkerei liegen in der Live -Beteiligung, im Lokalen und auch in der Avantgarde-Kultur. Klar ist auch, daß HörerInnen-Beteiligung keine Zukunft hat, wenn sie nicht strukturiert ist, und die Redaktion bloß „abtaucht“. Daß sich genießbare Querfunkprogramme herausbilden, ist für unsere politische Kultur dringend nötig - aber sicher ist's noch lange, lange nicht.

Sibylle Bartscher/Richard Herding

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