: Schwyzer Kas für die EG?
■ Diskussion über europäischen Binnenmarkt auch in der Schweiz / Ängste und Träume der Alpenrepublik /Mitgestaltung ohne Mitgliedschaft als Vision
Genf (dpa) - Politiker und Wirtschaftsbosse in der Schweiz wiegen den Kopf hin und her, wenn sie in ihrem Langzeit -Kalender auf die längst rot angestrichene Jahreszahl 1992 stoßen. Und auch die ganz normalen Arbeitnehmer, Bürger, Konsumenten und Steuerzahler wissen noch nicht so genau, was sie von dem EG-Binnenmarkt halten sollen, dessen Verwirklichung mit der magischen Zahl 1992 konkret zu werden verspricht. Soll die reiche Schweiz, die bereits so überaus eng mit der EG verflochten ist, nun beitreten oder nicht?
Warnungen und Beschwichtigungen, Ängste und wirtschaftliches Selbtbewußtsein wechseln sich fast tagtäglich ab - und drükken so aus, wie tief das Land gespalten ist. Wie wichtig die verstärkte Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen eines Beitritts der neutralen Schweiz ist, beweisen die Zahlen: 1987 kamen 72,1 Prozent der Einfuhren des Landes aus dem EG-Raum, 34,2 Prozent allein aus der Bundesrepublik. Auch die Ausfuhr in die EG machte mit 55,7 Prozent gut die Hälfte der Exporte aus (21,2 Prozent in die Bundesrepublik).
Führende Politiker des Landes wie Finanzminister Otto Stich und der für Außenpolitik verantwortliche Rene Felber haben immer wieder betont, die Haltung des Landes zur EG solle „nicht durch Angst“ geprägt sein und die Frage eines Beitritts „pragmatisch und ohne Übereile“ von einer neu eingerichteten Kommission geklärt werden. Die bislang ausgegebenen Losungen einer „Mitgestaltung der EG ohne Mitgliedschaft“ sowie einer notwendigen „Beitrittsfähigkeit der Schweiz ohne Beitritt“ kommen jetzt auf den politischen Prüfstand.
In manchem durchaus ähnlich gelagert wie der ebenfalls neutrale Partner Österreich in der Europäischen Freihandelszone (EFTA), äußert sich Bern bisher zurückhaltender zu einer Mitgliedschaft als Wien. Doch während diese Frage für die multinationalen Konzerne wie Nestle in Vevey oder Ciba-Geigy in Basel gar nicht einmal so entscheidend sein dürfte, blicken mittlere und kleinere Betriebe weniger gelassen auf 1992. Wirtschaftlich will man, was viele politisch noch für undenkbar halten: Den Beitritt.
Die Schweiz weist international die höchsten Arbeitskosten aus - und mit derzeit 0,7 Prozent die geringste Arbeitslosenquote. Die Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt gehört somit zu dem Preis, den das Land bei einem Beitritt zum Binnenmarkt in Kauf nehmen müßte. Auch die Anpassung von Normen und Gesetzen an die der EG würde dem Land schwerfallen - Ende 1987 hat es sich gerade erst gegen die Europäischen Sozialcharta entschieden. Das Mißtrauen der Schweizer gegen Supranationales ist sprichwörtlich.
Eine volle Ausschöpfung der Entwicklungsklausel des Vertrags über den Freihandel mit der EG zieht die Schweiz gegenwärtig auch deshalb dem Beitrittsdenken vor, weil die direkte Demokratie mit den Volksabstimmungen in der Schweiz sowie die starke Souveränität der Kantone berührt wären, wenn wichtige Entscheidungen für das Land eines Tages in Brüssel gefällt würden. Angesichts von mehr als 120 bilateralen Verträgen mit den EG-Ländern könne man sich gar nicht abkapseln, aber müssen Schweizer Sitz und Stimme in Brüssel haben?
Das Land im Herzen der alten Welt werde wahrscheinlich als letztes in Westeuropa der EG beitreten, meint Erich Schmid, der Direktor des Europäischen Instituts für Außenhandel in Basel. Denn noch eine ganze Reihe anderer Dinge stehen einer Mitgliedschaft im Weg: Die starke Protektion der Schweizer Agrarwirtschaft und der Streit um den Alpentransitverkehr etwa. So sind die Schwerverkehrsabgabe sowie die Schweizer LKW-Gewichtsbeschränkungen Anlaß zu Kritik von außen. Außenminister Rene Felber ist froh, daß die Beitrittsfrage noch nicht definitiv entschieden werden muß. Vor der Vollendung des Binnenmarktes, hatte Brüssel den Schweizern unlängst erklärt, nehme man sowieso keine neuen Mitglieder auf.
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