Mit Siebenmeilenstiefeln zurück in die sechziger Jahre

■ Explosion der Unternehmensgewinne seit der „Wende“ 1982 / Lohnquote wieder auf dem Stand von 1960 / Flexibilität als Motto unternehmerischer Finanzpolitik

Berlin (taz) - Die mittlerweile in die Sommerferien verreisten Bonner Wendepolitiker von CDU, CSU und FDP haben in den letzten Monaten viel Prügel bezogen. Zu amateurhaft und zu sehr klientelistischen Interessen verpflichtet haben sie zuletzt ihre „Jahrhundertreformen“ präsentiert. In der öffentlichen Debatte weitgehend untergegangen ist dabei, daß sie ein vor der Wende lautstark verkündetes Ziel in bravouröser Weise verwirklicht haben: die Umverteilung der Einkommen zugunsten des Unternehmenssektors. Eine von Rudolf Welzmüller, Mitarbeiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes, jüngst vorgelegte Analyse der Einkommensverteilung liefert die Belege für diesen Politikerfolg.

Seit dem Wendejahr 1982 sind die Bruttoeinkommen des privaten Unternehmenssektors extrem hoch und schneller als alle vergleichbaren volkswirtschaftlichen Kennziffern angestiegen: von etwa 255 Milliarden DM im Jahr 1982 auf knappe 419 Milliarden DM im Jahr 1987.

Die Zeiten allerdings, in denen die erzielten Profite in wachstumswirksame Investitionen umgesetzt wurden, scheinen weitgehend vorbei. Zwar haben die privaten Investitionen mit 114Milliarden DM im letzten Jahr oberhalb des Niveaus von 1982 gelegen, doch blieben sie noch deutlich unter dem Wert von 1980. Damals hatte der private Unternehmenssektor immerhin noch 132Milliarden DM für investive Zwecke ausgegeben.

Noch drastischer fällt das Bild aus, wenn man die Unternehmensgewinne nach Steuern betrachtet. Die Profite der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit stiegen nach Berücksichtigung der Steuerzahlungen sogar noch schneller als die Bruttogewinne. Verantwortlich dafür sind die außerordentlich günstigen Möglichkeiten zur Steuerminderung für die Unternehmen.

Seit der Wende in Bonn ist die effektive Steuerbelastung der Unternehmen permanent zurückgegangen. Der durchschnittliche Steuersatz betrug im Jahr 1987 gerade einmal 28 Prozent, nachdem er im Jahr 1980 noch bei mehr als 38 Prozent gelegen hatte. Eine beachtliche Leistung der Bonner Wirtschaftspolitik, die nach Inkrafttreten der jüngsten Steuerreform, von der der Unternehmenssektor überproportional profitieren wird, noch weiter ausgebaut wird. Behauptungen des Bundesverbandes der deutschen Industrie, die Besteuerung der Unternehmensgewinne liege bei 70 Prozent, können jedenfalls als Legendenbildung verstanden werden.

Von der Deutschen Bundesbank kann man erfahren, was die Unternehmen mit den nicht-investiv verwendeten Profiten gemacht haben. Geldvermögensbildung lautet das Stichwort. Allein 27 Mrd. DM sind im letzten Jahr in Sicht- und kurzfristige Termineinlagen geflossen und haben die Gesamtsumme an flüssigen Mittel auf 370 Mrd. DM anschwellen lassen. Flexibilität ist auch hier angesagt schließlich weiß man im Voraus nie, wann sich ein günstiges Schnäppchen für eine Firmenübernahme bietet. Und Zinsen gibt es darüberhinaus für diese Form der Geldkapitalanlage auch.

Zielgerecht hat die konservativ-liberale Koalition den Anteil der Bruttoeinkommen aus unselbständiger Erwerbsarbeit am Volkseinkommen, die sogenannte Lohnquote, abgesenkt. Im letzten Jahr ist die strukturbereinigte Lohnquote mit 65,5 Prozent auf den niedrigsten Wert seit 1960 abgesunken. Das verteilungspolitische roll back scheint den Konservativen aber noch zu genügen. Die von SPD-Nachwuchsstar Lafontaine angezettelte Arbeitszeitdiskussion wurde von ihnen schnell zu einer Lohndiskussion umgewandelt, wo es allein noch um die Frage ging, wieviel Lohnabbau ist notwendig, um die bundesdeutsche Ökonomie weltwirtschaftlich konkurrenzfähig zu halten. Unter dem Deckmantel der Zeitgeistmetaphern „Flixibilisierung“ und „anderer Arbeitsbegriff“ konnten sie in der öffentlichen Diskussion Punkte verbuchen.

Regionale Differenzierungsklauseln sind ebenso wieder in der Diskussion wie betriebliche Beteiligungslöhne, bei denen die Beschäftigten neben einem fixen Grundgehalt je nach unternehmerischem Erfolg auf den Lohn zurechenbare Erfolgsprämien erhalten sollen: Individualisierung und Flexibilität als Mittel des Lohnabbaus. Verteilungspolitisch, daran erinnert die Untersuchung von Welzmüller, spricht allerdings nichts für eine Politik gewerkschaftlicher Lohnzurückhaltung. Strikt kreislauftheoretisch betrachtet gilt sogar, daß die bundesdeutsche Ökonomie ihre Wachstumspotentiale nicht ausnutzt, weil die hohen Profiteinkommen nicht investiv oder lohnseitig absorbiert, sondern als Geldvermögen gehortet werden.

Allerdings wäre es eine Milchmädchenrechnung, aus dieser Verteilungskonstellation unmittelbar auf eine neue Lohnoffensive zu schließen. Höhere Löhne bedeuten zwar potentiell auch eine höhere Nachfrage. Doch faktisch sind sie auch höhere Kosten für die Unternehmen. Wie immer man auch das Verhältnis zwischen steigender Nachfrage und damit steigendem Absatz und höheren Kosten auch gewichten mag: Das aktuelle Investitionsverhalten des Unternehmenssektors legt die Vermutung nahe, daß im Falle einer gewerkschaftlichen Lohnoffensive noch mehr Geldkapital in die Geldvermögensbildung und dabei insbesondere auf ausländischen Finanzplätzen verschwinden würde.

Auch die Gewerkschaften werden sich damit anfreunden müssen, daß mittels der Lohnpolitik weder der Investitionsprozeß stabilisiert noch die Arbeitslosigkeit überwunden werden kann. Die konservative Koalition hat dies lange erkannt. Zwar wird die Umverteilungspolitik zugunsten des Unternehmenssektors mit der legitimatorischen Floskel der Arbeitsplatzschaffung garniert. Doch ist selbst den wirtschaftspolitischen Laien in Bonn längst klar, daß zwischen Profit- und Beschäftigungsentwicklung kein positiver Zusammenhang besteht. Die Umverteilungspolitik zielt deshalb auch nicht auf den Arbeitsmarkt. Sie ist klassische Gesellschaftspolitik, bei der es darum geht, die vermeintliche „sozialistische Gleichmacherei“ der sozialliberalen Koalition wieder rückgängig zu machen. Und hier sind die Wende-Politicos auf der Höhe der Zeit. Sozialkulturelle Differenzierung und Individualität lassen sich am einfachsten immer noch mit gefüllter Geldbörse demonstrieren.

Kurt Zausel