: UMSUNST UND DRUNTEN
■ Berliner BildhauerInnen hautnah auf der Linie 9 zwischen Steglitz und Wedding
Seit dem 1.August stehen auf den U-Bahnhöfen Rathaus Steglitz - Osloer Straße Kunstwerke von 17 Bildhauern und vier Bildhauerinnen, die teilsweise speziell für ihre Standorte im Massenverkehrsmittel geschaffen wurden.
Auf der Pressekonferenz am vergangenen Montag gab sich der BVG-Sprecher, Michael Schultz vom Verein „Berliner Bildhauer e.V.“, und ein Künstler selbst leutselig. Herausgegriffen aus den positiven Einlassungen seien die Bemerkungen, daß die BVG froh ist, die attraktive Plattform für Kunst und Plastik zur Verfügung stellen zu dürfen, was sie im übrigen nichts koste, und verspricht sich durch die „Skulpturenlinie“ Imageverbesserung (Imagetransfer), weil breiteren Massen so die Schwellenangst vor Museen und Galerien genommen würde mittels der wunderbaren künstlerischen Arbeiten. Die durchschnittlich 350.000 Benutzer dieser Strecke hätten dadurch Gelegenheit, sich noch mehr mit ihrer BVG zu identifizieren, und im übrigen dankt die BVG den Künstlern, die in Kenntnis des Vandalismus trotzdem das Risiko eingegangen seien, und hofft nun, daß einmal weniger mit Sprühdosen und Filzstift im Untergrund geschmiert würde. Die Künstler, angesprochen auf den 59.000 Mark Etat, sind bescheiden geworden oder geblieben. Das Geld dient ausschließlich der Deckung der Transportkosten und die Damen und Herren Bildhauer sind damit einverstanden, daß sie entweder umsonst speziell gearbeitet haben, oder sie sind einfach nur froh, ihre Arbeiten aus ihren Ateliers an Orte schaffen zu können, wo sie immerhin Aufmerksamkeit erregen.
Die Veranstalter haben ihr Konzept insofern verändert, als daß die beiden U-Bahnhöfe Nauener Platz und Osloer Straße während der Laufzeit bis zum 12. Januar 1989 Schauplätze für verschiedene künstlerische Aktivitäten sein werden. Weil während des Aufbaus „sehr interessante Gespräche zwischen Künstlern und Passanten“ geführt wurden.
Ob die Resonanz tatsächlich so sein wird, wie im Pressetext weiter zu lesen war, wird sich sicherlich erst noch zeigen müssen: „Hierbei konnte festgestellt werden, daß das Projekt von den U-Bahn-Fahrgästen positiv aufgenommen wird, und auch ein großes Interesse sowohl inhaltlich als auch technisch an den Skulpturen besteht.“
In den letzten Tagen jedenfalls konnte man überall auf den U-Bahnhöfen unterscheiden zwischen den völlig Bewußtlosen, die wie stets nicht nach rechts und links schauen und so auch keine Veränderung wahrnehmen; denen, die im Vorübergehen regungslos die Kunst Kunst sein lassen, weil ihnen das alles egal ist, was um sie herum passiert; denen, die den Schritt wechseln und sich schon einmal die Zeit nehmen, hinzuschauen, und natürlich dem allseits geschätzten übergeschlechtlichen Berliner, der kopfschüttelnd prollihaft oder intellektuell hinter seiner Zeitung schimpft, weil er nicht verstehen kann und will, daß es Künstler gibt, die anderes im Schädel haben als den „Röhrenden Hirschen“ oder „grünlinksalternativradikalen grölenden Kitsch“.
Jeden Freitag wollen wir ein Kunstwerk samt seinem Schauplatz vorstellen, beginnend am U-Bahnhof Steglitz, um Kunst im U-Bahnschacht dauernd im Gespräch zu halten.
Will man vom U-Bahnhof Steglitz in Richtung Osloer Straße fahren und geht die Treppe hinunter, wird es sich nicht vermeiden lassen, daß „Königin und Mann“ von Simon Schrieber aus dem Jahre 1983 in die Augen springen. Aus weißem Gips geformt, vornehmlich aus stämmigen Gliedmaßen bestehend, zeigen die beiden Figuren, getrennt von der Sitzbank Haltungen. Stolz hält Sie das Zepter - zwischenzeitlich schon mit rotweißem Absperrplastik versehen -, also Heft, in der Hand, während Ihm die Demutshaltung in ihrer Beziehung übrigbleibt. Macht ist geschlechtsneutral und Unterwerfung ebenso. Aufrecht die eine, geknickt der andere. So, wie man im richtigen Leben die Leute in der U-Bahn schleichen sieht
-und selbstbewußt. Entweder oder. Und wenn man bedenkt, was für ein großer Mann das wäre, gemessen an den ihm mitgegebenen Körpergliedern, dann läßt sich nur spekulieren, was Menschen zu Untertanen macht. Aber das wollen sie ja nicht so gerne sehen.
Qpferdach
Wer sich von der Kunst auf den U-Bahnhöfen ein eigenes Bild machen möchte und dieses fotografisch auch noch nach Hause tragen möchte, dem sei geraten, nicht bei Einfahrt von Zügen mit Blitz zu fotografieren. Ansonsten hat die BVG nichts dagegen, wenn der Betrieb nicht gefährdet wird.
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