: GEWALT GEGEN MENSCHEN-SACHEN
■ „Royal de Luxe“ versprühten Parfum auf dem Breitscheidplatz
Dienstag abend, Breitscheidplatz; ungeniert wälzen sich Horden Hamburger und Bouletten stopfender und mit den Augen nach einer möglichen fotografischen Fixierung der Echtzeit gierende Touristen zwischen Gedächtniskirche und Mercedes -Stern-Sockel hindurch. „Schau, da vorne wankt einer! Und dort! Echte Künstler dicht auf einen Haufen gepackt malen Portraits!.
Aber was machen denn die ganzen Leute da vorne? Wo die Kameras stehen?“ Eine junge Frau steht hinter einem Metallrahmen, Helfer pudern ihr Gesicht, andere messen mit einem Metermaß die Entfernung zwischen ihr und einem Fotografen. Plötzlich gefriert ihre Bewegung, „Foto!“ hallt es über den Platz, der Fotograf drückt eine Taste, neue Szene.
„Wenn du miterlebst, wie wir arbeiten, dann begreifst du: 'So ist die Welt!‘. Das Spektakel sieht absurd, verrückt aus, aber diese Kraft, diese Unmittelbarkeit, die darin steckt und die es ausstrahlt, das ist vollkommen wirklich; ein realer Moment unter vielen anderen normalen Momenten.
Es gibt bei Royal de Luxe keine Kulisse, keinen doppelten Boden, keine Vortäuschung großartiger Effekte. Jeder kennt die Materialien, die Requisiten, die wir benutzen. Jeder kennt die Situationen - du bist verliebt und alles geht schief -, wir verfremden es eben ein bißchen, treiben es auf eine Spitze. Aber es gibt eben keine Symbolik, die Spektakel sind immer sehr klar, sehr direkt und physisch - und das gibt dem Publikum eine gewisse Freiheit.
Wir, wir sind ganz einfach auf einem Trip. In der Zeit der Vorbereitung und dann der Aufführung ist jeder mit seinem ganzen Sein, mit diesem einen Spektakel verknüpft. Du bist eben da. Machst verschiedene Dinge, tust was, so wie jeder andere auch.“
„Parfum d'Amnesium“ zeigt die Geschichte zweier Liebender, die sich nach vielen Prüfungen tatsächlich finden. Sie müssen Illusionen von Gefühlen erfahren, sie müssen durch Eifersucht, Irrenhaus und Gedächtnisschwund. Die Suche nacheinander zieht sich über Jahre hin. Erinnerungen „von Hitchkock und billigen Gruselfilmen“ tauchen auf. Es gibt ein wundersames Parfum, einen alten, mysteriösen Vater, der tief im Wald Gifte erfindet, es gibt Verstümmelungen und gräßliche Mutationen. Und nicht nur die Bösen sterben.
Aber diese Story ist eigentlich ununterbrochen am Entschwinden. Der Roman-Foto ist ein Cartoon, ein Comic, aufgeführt mit irrwitzigem Tempo. „Foto!“ - die DarstellerInnen spielen mit unglaublicher Präzision, zeigen Bewegungen in Einzelbildschaltung. Das wirkt teilweise grotesk; Energie, immer kurz vor dem Ausbrechen, wird innerhalb eines Rahmens für Sekunden gebannt, „Foto!“.
Der Zuschauer sieht das komplette Szenario, wie rechts und links des Rahmens Vorbereitungen getroffen werden. Zu Beginn ist es noch durchaus möglich, zu verfolgen, wie die einzelne Einstellung aufgebaut ist: Wie die Technik funktioniert, die Effekte eingesetzt werden usw. Je mehr jedoch die Love-Story ins Tragische mutiert, desto mehr explodiert das inszenierte Chaos über das gesamte Spielfeld. Die Performance verselbständigt sich, in zunehmendem Tempo, „Foto!“, werden Autos zerteilt, Requisiten gewechselt, „Foto!“, Gossip Horror - Nebel hüllt alles ein, literweise Blut spritzt, „Foto!“.
„'Waterclash‘? Ja davon gibt es inzwischen etliche Variationen. In Paris z.B. war es so: Also, zuerstmal war da dieser wunderbare Platz inmitten von alten, ehrwürdigen Häusern vor dem Louvre. In der Arena stand die Tribüne, darauf wir im Anzug mit unseren Waschmaschinen und dem Geschirr. Auf der anderen Seite, die Lichterwand aus 1.500 Autoscheinwerfern, das ist so ein Vorhang, zehn Meter mal acht Meter, der bewegt sich auch leicht im Wind. In der Arena steht dieser riesige Schiffscontainer. Die ganzen Leute drumherum und um die Leute herum standen diese Gestänge, daran hingen freischwebend Automotoren, die von unten gebraten wurden. Das Publikum wird ungeduldig, schreit: Anfangen! Anfangen. Gut, brüllen die Motoren auf, rund um die Leute beginnen 20 freihängende Explosionsmotoren zu arbeiten, das mußt du sehen! Gleichzeitig flammen die Scheinwerfer auf. Jean-Luc kommt in seiner Badewanne in die Arena gefahren, steht in seinem Schaumbad - immer nur Tahiti - und nimmt vor der Tribüne seine Position als Dirigent ein. Da drängen sich die Leute dann vor, denken es geht los. Plötzlich kommt hinter ihnen der eine Ritter angefahren: Der steht auf dem Kofferraum eines Autos, der Wagen hat keine Hinterreifen mehr, quietscht und knallt so über den Boden. Und der Wagen brennt auch noch. Dieser Typ rast in das Publikum rein, macht überhaupt keine Anstalten zu bremsen, die Motoren jaulen... Da rennen sie dann auseinander. Der Container geht auf und 40 Kubikmeter Wasser ergießen sich auf den Platz. Und mit dem Wasser kommt auch der zweite Ritter, der die ganze Zeit da drin war, muß sich mächtig anstrengen, über Wasser zu bleiben. Die beiden Ritter beginnen zu kämpfen. Sobald sie das erste Mal aufeinandertreffen, physischen Kontakt haben, gibt der Dirigent den Einsatz und wir schlagen das erste Mal mit unseren Vorschlaghämmern auf die Waschmaschinen ein. Dann, eine kurze Pause, Spannung. Der zweite Schlag, Pause. Der dritte Schlag... Ja, und dann, dann geht es nur noch einfach höllisch ab.
Ich betrachte das immer als Tanz, aber jeder bei Royal de Luxe empfindet das anders! Wenn ich meine Waschmaschine halb zertrümmert habe, sie an den raushängenden Kabelenden und Schläuchen packe und von den Riemen schmeißen will, unten zerschlagen die Frauen das Geschirr, ich geh‘ zur nächsten Maschine, spring drauf rum oder versuche sie zu reiten, überall grölen Motoren... Es ist ganz einfach die Zerstörung, diese Wucht, dieses Chaos - und ich empfinde das eben als Tanz.“
Als Jean-Luc Courcoult auf grund der Vorbereitung für das Spektakel in Berlin weilte, den ganzen Schrottberg, die brennenden Autos und Wochenendkrawalle, war er sehr bald davon überzeugt, daß eins der gewalttätigen Spektakel von Royal de Luxe in Berlin fehl am Platze sei: Er lief eine Straße lang, jemand schmiß sein TV aus seinem Fenster, ihm vor die Füße, er suchte die O-Straße, wo man zwar keinen Bus grillte, aber eine Telefonzelle abfackelte. „In Berlin müßte man einfach mal etwas Lustiges machen.“
Am Dienstag abend, der Roman-Foto steht vor der letzten absoluten Auflösung, beginnt einer der Imbißinhaber drum herum seine Bouletten in die Menge zu schmeißen. „Ihr sollt kaufen, Kanaken!“
Rudolf Stoert
Heute abend um 19 Uhr noch einmal un der Ufa-Fabrik
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