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Harte Abrechnung mit den früheren Idolen

„Ich hatte das Gefühl, nach einem Strohhalm greifen zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, mich ohne Paß und ohne Visum im Westen wiederzufinden. Denn eine Entlassung in die DDR kam nicht in Frage - das wurde deutlich gemacht - und auch ein Prozeß sollte umgangen werden.“ So beschrieb der nun zurückgekehrte Werner Fischer einer Pariser Zeitung seinen überraschenden West-Aufenthalt.

Nach heftigen Auseinandersetzungen in den letzten Wochen und Monaten gehören Bohley und Fischer zu den wenigen, die mit großer Wiedersehensfreude in den oppositionellen Hauptstadt-Kreisen rechnen können. Zum Geburtstag der Bürgerechtlerin und Malerin Bärbel Bohley wurde sogar in ihrer Abwesenheit ein Erinnerungskonzert und eine Ausstellung mit ihren Bildern veranstaltet.

So wohlgelitten sind aber längst nicht mehr alle der ausgereisten Oppositionellen. Enttäuscht und empört haben sich mittlerweile viele aus den Friedens-, Öko- und Menschenrechtsgruppen von ihren ehemaligen MitstreiterInnen abgewandt. Warum haben sie nicht ausgeharrt und auf einen Prozeß gewartet, werfen sie den vermeintlich „schwachen Revolutionären“ vor. Mit ungewöhnlicher Vehemenz, die fast ein bißchen an vergangene K-Gruppen-Zeiten erinnert, wurde drüben die „Aufarbeitung der Januar-Ereignisse“ betrieben. Den Auftakt lieferte der 'Friedrichsfelder Feuermelder‘, ein Informationsblatt des Friedrichsfelder Friedenskreises, mit unmißverständlich harter Kritik an den Ausgereisten aus den eigenen Reihen.

„Das Verhalten der nun mehr oder weniger Ausgereisten ist eine politische und moralische Bankrotterklärung“, resümiert der Autor, der selbst, unbeachtet von westlichem Medienspektakel, neun Monate wegen seiner friedenspolitischen Aktivitäten im Knast verbrachte. Daß die Solidaritätsbewegung plötzlich abebbte und „wir, die Gruppen“ als die eigentlichen Verlierer der Januar -Ereignisse dastehen, sei Schuld der Ausgereisten, die der Bewegung die eigentlichen „Nackenschläge“ versetzt hätten. O -Ton 'Friedrichsfelder Feuermelder‘: „Der Flächenbrand der brennenden Herzen und betenden Hände, der ca. 40 Städte erfaßt hatte, verlosch. Nicht ausgetreten durch die allmächtige Staatsgewalt, sondern durch die vermeintlich eigenen Leute.“

Von den Ausgereisten klagt der Autor politische Aufopferungsbereitschaft und moralische Integrität ein. Im Fall Vera Wollenberger, die als einzige bereits zu sechs Monaten Haft verurteilt war, dann aber unter Beibehaltung ihrer DDR-Staatsbürgerschaft zu Studienzwecken nach England gehen konnte, ist für ihn der Fall klar. „Sechs Monate zuviel im Kampf für Emanzipation und Identität?“ wird rhetorisch gefragt und nachgeschoben: „Und die anderen? Warum haben sie nicht auf ihren Prozeß gewartet? Der hätte erst einmal durchgeführt werden sollen. Ist die Friedensbewegung ein Spiel, bei dem nach Belieben ein- und ausgestiegen wird, ein Trittbrett für die persönliche Karriere? Ist Solidarität nur eine Einbahnstraße? Und wo bleibt die Verantwortung für die mit dir Kämpfenden?“ „Es waren schwache Revolutionäre“, läßt der Autor einen chilenischen Freund antworten und fügt an: „Die Inhaftierten gingen als politische Personen in den Knast, verlassen haben sie ihn als Privatpersonen.“

Im gleichen Tenor äußern sich auch die 'Umweltblätter‘ der Ost-Berliner Umweltbibliothek zu den Vorgängen und spitzen das Problem auf die angeblich eigentlichen Versager zu: das Künstlerpaar Stephan Krawczyk und Freya Klier. Von den Inhaftierten landeten sie als erste im Westen. „Unter Druck“, wie sie immer wieder betonten, hatten sie Ausreiseanträge gestellt und können somit nicht mehr in die DDR zurückkehren. „Der Abgang von Stephan und Freya, landesweit bekannten Künstlern, die zum Symbol für die Solidaritätsbewegung geworden waren, war der eigentliche Genickschlag für die Bewegung“, heißt es in den 'Umweltblättern‘. Vorgeworfen werden ihnen vor allem ihre Medienauftritte im Westen und „die Unverschämtheit, mit der sie jetzt die Affäre zur Beförderung ihrer künstlerischen und finanziellen Karriere nutzen“. Daraus folgern die 'Umweltblätter‘ unmißverständlich: Für die Wiedereinreise von Krawczyk und Klier können wir aus Selbstachtung nicht mehr eintreten. Deutlicher hätte selbst die Staatssicherheit nicht die Oppositionsbewegung von ihren ehemaligen Idolen trennen können.

Zu den Vorwürfen haben sich bislang nur Stephan Krawczyk und Vera Wollenberger geäußert, mit langen Briefen an ihre ehemaligen Ost-Berliner Friedensfreunde. „Die Sprache, in die du deine Zeilen zwingst, ist alles andere als dialogfähig“, schreibt Krawczyk an den Autor des 'Friedrichsfelder Feuermelders‘. „Mit der Überschrift hast du uns 'gewogen und zu leicht befunden‘... Es scheint mir beim Lesen, als läge auf der anderen Waagschale der hehre, parteiisch gestählte Revolutionär, dessen Bauch, Kopf und Herz von Hammer und Sichel verschrammt sind.“

In seinem Brief aus dem Westen räumt Krawczyk durchaus Selbstkritisches ein: „Ich bin jetzt hier, weil ich der politischen Bedeutung meiner Person nicht entsprach... Ich hielt es nicht aus, daß Freya im Knast zerbricht. Die Ereignisse der letzten Jahre hatten ihr genug zugefügt. Ich bin mit ihr gegangen, weil sie mir wichtiger ist als meine politische Rolle, die ich hatte.“ „Befremdlich“ findet es Krawczyk aber, mit welch „parteidisziplinarischer Anmaßung“ Schuld gesprochen werde.

„Der Grund für die Vorwürfe liegt in deiner Verbitterung, die keine nützliche Reflektion zuläßt. Verbittert gegen die zu oft erlebten Abgänge, über die schleichende Lähmung einer Bewegung, die sich unabhängig nennt. Das Resultat ist Abgrenzung, genau wie bei innerparteilichen Flügelkämpfen. Das kenne ich sattsam aus den letzten Jahren - diese bornierte Anmaßung, über Leute und Gruppen urteilen zu wollen ...“. Enttäuscht über die Abgrenzung und „Denunziation angeblicher Charakterlosigkeit“ äußert sich auch Vera Wollenberger, die seit 1980 in der Friedensbewegung aktiv ist und dafür auch Parteiausschluß und Berufsverbot in Kauf nahm. „Ich habe zwischen einem Jahr Exil und zwischen einem halben Jahr Gefängnis ersteres gewählt. Niemand käme auf die Idee, das Exil der russischen Sozialisten als Schande zu brandmarken. Mir wird eine Entscheidung, die ich in einer Not- und Leidenssituation nach bestem Wissen und Gewissen getroffen habe, als unmoralischer, verantwortungsloser Bankrott angekreidet. Ein Makel, von dem ich mich in den erbarmungslosen Augen kaum je werde reinigen können. Oder doch durch oft genug geübte Selbstkritik und Entschuldigungen? Ich spare mir historische Vergleiche.“

Aber nicht alle Ausgereisten weisen die Kritik pauschal zurück. „Wären wir innerlich vorbereiteter gewesen“, so der in West-Berlin lebende Ralf Hirsch, „wären wir sicher auf einen Prozeß eingegangen. Von der Solidaritätswelle wußten wir im Knast nichts. Ich glaube, da sind wir alle schwach geworden.“ Bei allem Verständnis für die Kritik konstatiert der lange Zeit in Ost-Berliner Ökokreisen aktive Rüdiger Rosenthal aber eine verkehrte Welt. „Hier werden Opfer zu Tätern gemacht.“

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