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Chronist der Kleinbürger

■ „Autoren als Zeitzeugen: Die Schuld der Opfer. Der Schriftsteller Ödon von Horvath“, Nordkette, 20.15 Uhr

Mitten hinein ins allsonnabendliche Delirium um die ewighohle Lederkugel, der Fernsehsesselsitzsportler durch alle Kanäle nachjagen, sticht an den Sonnabenden dieses Monats die SFB-Serie über die Schriftsteller, die von den zwanziger Jahren bis ins Adenauer-Deutschland hinein Augenzeugen der Katastrophen waren, die deutsche Geschichte heißt. Als Augenzeugen haben sie, sofern noch am Leben wie der Niederländer Harry Mulisch oder Stefan Heym, der in die USA emigrierte, aber 1953 nach dem Vereisen der Nachkriegsgeschichte zum Kalten Krieg seine US -Staatsbürgerschaft und Kriegsauszeichnungen ablegte, um in die DDR zu gehen, Geschichte durch ihre Geschichten zu erzählen, und können das vor der Kamera tun.

Bei Ödon von Horvath, mit dem heute abend die Serie eröffnet wird, ist der Zeugenstand ein anderer: Ihn hat, obzwar in die Pariser Emigration getrieben, nicht unmittelbar die Weltgeschichte an die Kehle gegriffen und das Leben gekostet, sondern ein herabstürzender Ast auf den Champs Elysees erschlagen. Die Weltgeschichte bedient sich manchmal, wo sie ihre Opfer nicht direkt erschlägt, der Natur als ihres Büttels. Von der Zeit zeugt in seinem Falle das Werk, das er erzeugte, und sein Werk ist als Zeitzeugnis angelegt worden.

Horvath war Chronist des Kleinbürgertums, dieser fürchterlichen Waffe des machthungrigen Faschismus, der im Stickstoffklima der Spießerseelen die Ressentiments und Borniertheiten fand, aus denen sich die Trachtenjoppe des arischen Übermenschen zusammenflicken ließ, Tarnkleid für die aus politischer Ohnmacht und wirtschaftlicher Misere entstehenden Hauptzüge der Dummheit, Verlogenheit und Sentimentalität. Das juste milieu war das Abwasser in den Straßengossen, von dem die Nazis bis in die Machtzentralen geschwemmt wurden, wo die Saubermänner des bürgerlichen Staats in Industrie, Wirtschaft und Verwaltung schon warteten, um sich die Hitlers und Goebbels aus der Gosse zunutze zu machen.

Als Chronist in seinen insgesamt 17 Volksstücken („Geschichten aus dem Wienerwald“, „Glaube Liebe Hoffnung“) und vielen Romanen („Der ewige Spießer“, „Ein Kind unserer Zeit“) bediente sich Horvath aber nicht der Verachtung als Triebkraft seiner Kleinbürgerbilder. Die trostlosen Welten der kleinen Gewerbetreibenden, Vorstadtganoven, des dumpfen Beamtenvolks und Stammtischpersonals waren ihm in Alpträume verkehrte Versuche von Schlachtopfern der Weltgeschichte, sich vor ihr zu schützen. Daß genau diese falschen Asyle dazu verhalfen, diese deutsche Geschichte zu verwirklichen, macht den Titel von Karin Reiss‘ Sendung, die an Horvaths Lebensstationen Wien, München und Oberbayern entstand, zum exakten Index seines Werks: Die Schuld der Opfer.

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