QUERSPALTE: Neudeutsche Helden
■ Mathias Rust ist eine Zumutung
Mitten auf dem Roten Platz in Moskau zu landen, zu einer Zeit gar, als Glasnost fast noch ein Fremdwort war, das ist
–jenseits einer strafrechtlichen, gar fliegerisch –standesrechtlichen Würdigung – eine antiautoritäre Metapher gewesen für alle, ob Beatniks'Politfreaks oder Haschrebellen, die den drängenden Wunsch verspürten, mit der flachen Hand kräftig in die universale bilaterale diplomatisch-politische Scheiße zu hauen. Doch auf dem Roten Platz stand dann nicht einer, der nach dem Schweigen der Flugzeugmotoren mit einem dröhnenden Lachen die Mauern des Kreml und des Pentagon gleichzeitig zum Einsturz brachte, sondern ein deutschtümelnder, beamtengrauer, offenbar leicht retardierter Norddeutscher, von einer Friedensmission schwätzend, die seiner Wedeler Kleinfamilienharmonie entsprungen ist. Welch eine Enttäuschung, welch eine Versagen auch aller Freigeister dieser Welt! Warum nur sind wir nicht vor Rust auf die Reise gegangen?!
Vergangen, vertan, vorbei – dafür verdient Herr Rust Prügel. Nun, da der im sowjetischen Lefortowo „vom Kind zum Mann“ gereifte Rust – welch eine erbärmliche Sozialisationsgeschichte – in die bundesdeutsche Wirklichkeit zurückgekehrt ist, gebührt dem 'Stern' dagegen allergrößter Dank. Eine peinigende Vision, ein Albtraum, diesen Mathias, das treudeutsche Arschloch, länger als die vom Magazin erlaubten drei Minuten im TV ertragen zu müssen. Reiht sich doch der Rust ein in die Reihe neudeutscher Helden, die uns schon in der Vergangenheit gequält haben. Ertragen haben wir schließlich schon einen Boris Becker und einen vom heiligen Geist erleuchteten Drogendealer Bernd Förster, gerade noch dem Galgen entkommen. Wären diese kongenialen Repräsentanten biederer Heldensehnsüchte doch geblieben, wo sie waren: der eine in Leimen, der andere in ... und Rust im sowjetischen Orkus.
Raul Gersson
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