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Ein Jahr Krankenhaus

■ Paule (68), bei der CARP-Demo am 8.8.87 schwer verletzt, liegt noch im Krankenhaus

„Ich hab‘ die Schnauze voll“, sagt Paule, während er mit schmerzverzerrtem Gesicht versucht, sein Bein etwas bequemer hinzulegen. Heute genau seit einem Jahr liegt der 68 Jahre alte Mann jetzt im Krankenhaus. Trümmerbruch direkt unter dem linken Knie. „Wie Mosaiksteinchen sah das aus“, so Paule, „und entzündet und geeitert hat's, nee, das hältste echt nicht aus!“

Zur CARP-Demo am 8.August letzten Jahres waren sowohl Gegner der Mun-Sekte als auch Polizei zahlreich erschienen. An der Urania wurde Paule zusammen mit anderen Gegendemonstranten brutal vom Bürgersteig gedrängt, die einzige Rettung war für Paule ein Sprung über den Blumenkasten - und dabei blieb er leider an der Kante hängen. Er mußte sofort ins Krankenhaus - und dort ist er seitdem nicht mehr herausgekommen.

Ein gutes dutzendmal wurde Paule jetzt schon operiert ganz genau weiß er es selbst schon gar nicht mehr - manchmal sogar zweimal pro Woche. „Das kann kein Deubel aushalten.“

Traurig lugt sein von der vielen Krankenhausluft schon ganz graues Gesicht aus dem blauen Hospitalhemd hervor. Doch schon im nächsten Moment leuchten seine Augen auf: „In Wackersdorf war ich und in der Hamburger Hafenstraße, und die Kreuzberger Nächte habe ich auch mitgemacht.“

Wozu das alles? „Ich finde, daß jeder in meinem Alter das so machen sollte und nicht nur an der Bushaltestelle stehen.“ Er hätte es allerdings auch anders machen können, „dann wäre das Bein jetzt nicht kaputt. Aber ich wollte euch unterstützen und bin gegen Faschismus, und deshalb habe ich mich eingesetzt - schon immer“, sagt Paule.

Paule hat sein ganzes Leben lang aus Überzeugung gehandelt, er hat Krieg und Faschismus hautnah miterlebt, er sollte als Soldat - mit 18 wurde er eingezogen -sogar noch 1944 wegen „Feigheit vor dem Feind“ aufgehängt werden. Seine erste Liebe, erzählt er, verlor er bei einem Bombenangriff.

Und nun liegt er seit einem Jahr im Krankenhaus, kann sein linkes Bein kaum noch heben. „So wie du kann ich nicht mehr auf die Toilette gehen“ - er muß das Bein gerade halten, kann es nicht mehr abknicken. An einer Amputation ist er bis jetzt noch haarscharf vorbeigekommen, doch seit der letzten Operation kann er nicht mehr aufstehen. Heute jedoch, genau zum „Jahrestag“, darf er wieder die ersten Gehversuche wagen - „aber ohne das Bein zu belasten“. Sein Anwalt hat mittlerweile das Land Berlin auf 50.000 Mark Schmerzensgeld verklagt, doch bislang noch ohne Erfolg.

„Aber was ist schon das Geld gegen diese Strapazen hier“, Paule zieht sich am Bettpfosten mühsam noch ein Stückchen höher. Und wie geht es jetzt weiter? „Als erstes, wenn ich hier rauskomme, ziehe ich von Spandau nach Kreuzberg.“

Der „Schwarze Block“ will sich in der ersten Zeit um ihn kümmern. „Die haben mir auch zum Geburtstag eine ganz große Torte gebacken.“ Besuche und Briefe bekommt er regelmäßig. „Aber spätestens im September muß ich hier raus sein!“ Paule lacht: „Da ist doch der IWF!“

Martina Habersetzer

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