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DIVINA TRAGEDIA

■ „Theater Antonin Artaud“ zeigt „Cenci“

Als habe sich uns nun doch der Weg in die Dantesche Hölle erschlossen, so erscheinen uns nach dem Abstieg durch eine dunkle Vorhalle die nackten Seelen, sechs an der Zahl, die über den Boden kriechen, bis sie wie von höllischem Wind von Wand zu Wand getrieben werden. Sie scheinen dem in einen ärmlichen Anzug gekleideten Rezitierenden zu gehorchen. Ein Tor öffnet uns den Blick auf wie büßend ein schweres Radwerk treibende Gestalten. Und hinter der zweiten Pforte werden wir, von Kerzen und der stets tönenden Orgel gerahmt, Beatrices ansichtig.

Doch es ist Beatrice Cenci und ihre Geschichte wird weit weniger fromm als die Dantes enden. An dessen Anklagen gegen die Herren seiner Zeit erinnert viel mehr ihr Vater: Cenci, der in Trieb und Machtwillen monströse Aristokrat der italienischen Renaissance. Antonin Artaud fand in Percy Bysshe Shelley's (1792-1822) „The Cenci“, dem Drama eines gewaltsamen Inzestes, ein Theaterstück von der von ihm geforderten Grausamkeit „im Sinne jenes Schmerzes, außerhalb dessen unabwendbarer Notwendigkeit das Leben unmöglich wäre“. Er führte es 1935 auf mit dem Anspruch, daß es darin nichts gäbe „unter den veralteten Begriffen von Gesellschaft, Ordnung, Recht, Religion, Familie und Vaterland, das nicht attackiert würde“.

Die Interpretation des „Theater Antonin Artaud“ verbindet das Stück mit Texten Artauds. So sind die Nackten, die später - bekleidet - die Regungen Cencis verkörpern werden, die sechs Männer, die den „Ritus der schwarzen Sonne“ vollziehen. Die Handlung der „Cenci“ ist weitmehr als den Worten der Ausdruckskraft der Bilder und Klänge anvertraut. Mählich erst werden die Personen des Dramas erkennbar, der Rezitator als Cenci (Jean-Marie Boivin), der unter Liebesbekenntnissen seine Tochter Beatrice (Susanne Husemann) wegführt; die Mutter (Katrin Stumpter), die mit verschlossenen Augen, von dem einen weiten Reif umspannenden Rock in der Bewegung gehindert, ohnmächtig Klage über den Zustand der Gesellschaft führt. Noch blind bezichtigt sie Cenci des Inzests, der in zynischer Verachtung antwortet, während er Beatrice seiner Körperkraft unterwirft. Wie aus seiner Brunst geboren erscheinen zwei bestialisch Kämpfende zu seinen Füßen. Er selbst wird den Sieger fällen. Nur stockend spricht Beatrice von ihrem Fluchtplan, läßt sein Scheitern ahnen.

Auf gekreuzten Linien stehen sie sich gegenüber: Cenci seinem pilgergleich gewandeten Widerpart, Beatrice einer anderen, ihrem Double, die das Geschehnis durch die blutige Befleckung ihres weißen Kleides darstellt. In diesen Moment verdichten sich Spannung und Schrecken des Stückes. So bleibt der rächende Mord Beatrices ausgespart, das letzte Bild zeigt sie ans Rad der väterlichen Gewalt (Shelleys Stück berichtet von Folter) gespannt.

„Cenci“ vom „Theater Antonin Artaud“ (Inszenierung Susanne Husemann, Jean-Marie Boivin und die Musikerinnen Alex Hotsch und Vicki Schmatolla) ist ein Stück von Malerei, das Bilder von nuancierter Farb- und Lichtschattierung und symbolischer Struktur im Raum erschafft; Bilder, die für Momente erstarren, dabei nicht an Spannung verlieren, vielmehr den vergänglichen Eindruck ins Unabweisbare steigern. Und es ist ein Stück von Musik, einem Rhythmus, von dem strukturiert sich die Individuen aus der Menge herausschälen und die Intensität ihrer Konfrontation steigern.

So ist „Cenci“ ein tragisches Schauspiel, von ganzer Seele und in einem ausdrucksstarken eigenen Stil dargebracht, eine in der ungewohnten off-Theater-Vielfalt dieses Sommers herausragende Aufführung.

glagla

Das „Theater Antonin Artaud“ zeigt „Cenci“ bis zum 24.8., täglich 20Uhr in der Katakombe, Monumentenstraße 24, 1 Berlin 61.

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