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WER WAR DIE FEIGE SAU?

■ Schon wieder trunkener Reporter bei „Cultur Reflex“

Der „wahre Dieter“ auf der Bühne kriegt sich nicht mehr ein: „Ich find's toll, wie ihr da ganz alleine klatscht. Seit Jahren moderiere ich Straßenfeste, aber so was hab‘ ich noch nie erlebt, daß man klatscht ohne Aufforderung - find‘ ich echt Spitze.“ Klatsch, klatsch schicken wir die stockschwingenden Dominas der „Nordberliner Havel -Marionetten“ heim zu Mami. Dem notorisch sauf- und rauflustigen Berliner Tanzbär aus der ersten Reihe bleibt der geforderte Striptease versagt - allgemeines Pikiertsein

-, das geht doch nicht, die jungen Dichter so zu belästigen, ist doch keine miese Spelunke hier, sondern ein Fest für die ganze Familie. Weiter im Programm mit schottischem Dudel...

-nun guck dir das an, jetzt lugt der Saufkopf den Jungs untern Rock, um zu zählen, wieviel Pfeifen die am Sack hängen haben.

„Die feige Sau, die feige Sau...“ - plötzlich schummert mir der Schädel, meine Kehle ist ständig wie Erdnußmus pur, ich brauch‘ was zu trinken, ich muß mich erinnern: Was ist passiert, wo bin ich gestrandet?... „Hat der Wirt auch viele Gäste, Vater ist doch noch der Beste“... Delirium tremens: Wenn die Leber versagt, ist das Gehirn betroffen. „Was für ein Tag ist heute? Samstag. - Ist hier nicht das Cultur Reflex...? - Wie bitte? - Bin ich hier nicht am Mariannenplatz?“ - „Da vorne ist Karstadt, hier ist der Herrmannplatz, CDU-Fest und so, verstehste...“

Etwas ist schief gelaufen, ich muß die Orientierung verloren haben, ich bin verschüttgegangen auf dem Trampelpfad durch die Kiezkultur. Unrasiert, wie es sich gehört, hatte ich mir von Sabine noch flink 20 Mark Teilnehmergebühr gepumpt, klar war alles umsonst, unsere Kultur ist doch immer umsonst, nur um sie ertragen zu können, müssen wir trinken, und dafür brauchen wir Geld. Aber hätte ich das alles vorher geahnt, dieser dumpfsinnige Gemütlichkeitstrieb des Feste-feiern-bis-wir-feste-fallen... als irrationaler Zwangsoptimist hoffe ich doch immer das Beste, und seitdem die Punks in diesem Sommer am Heinrichplatz die Akustikgitarren kreisen lassen und „Blowin‘ In The Wind“ trällern, besteht Anlaß zu jeder Befürchtung.

Nun denn, die kulturellen Reflexe mit ein, zwei Bier geölt, geschmiert und für tauglich befunden, konnte es losgehen. Die Kampfarena Mariannenplatz ganz grau in grau war wie geschaffen für unser Anliegen, das Vergnügen hart zu erarbeiten. Eine laue Brise Hundepisse hing über der Tummelwiese noch ungetrübt von den später zu erwartenden Haschischschwaden (Gott sei Dank saufen sich ja noch nicht alle das Gehirn kaputt - d.S.). Der Geruch nach gegrilltem Hund war hingegen leider nichts weiter als eine pikant duftende Halluzination. Die Combo auf der Bühne trieb mit der Energie einer Kaffeesatzdröhnung das Publikum zu esoterischem Kopfwippen, und nur eine Horde Kids reagierte mit angemessener Unsportlichkeit: zwei entwendete Dosen Bier verspritzten in einer erfrischenden Bierschlacht.

Früher als erwartet begaben wir uns zur Startposition des belagerten Bierstandes; das Wandertrinken erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit, mit einem Bier ist man dabei, und dann heißt es: pro Runde ein neues Bier. Erlaubt ist dabei jede Art der Fortbewegung von schwanken bis robben, und zu gewinnen gibt es nichts. Was zählt ist ausschließlich Runden drehen in möglichst trinkkonzentrierter Atmosphäre, unbelästigt von jeder kulturellen Nötigung; ein langsames Flanieren entlang der hübsch aufgebauten Schmuckstände ist dabei ebenso gestattet wie ein in sich gekehrtes Meditieren vor handgestrickten Keramiknachttöpfen.

„Hast du keinen Führerschein? Wenn du keinen hast, ist doch gut, dann können sie dir keinen abnehmen!“ Nach zweieinhalb läppischen Runden rien ne va plus, meine Lauflizenz mußte ich, wenn ich mich recht entsinne, am Stand mit der Erdbeerbowle abgeben und S. (inzwischen will sie nicht mehr namentlich erwähnt werden) sah ich das letzte Mal bei den T -Shirts, weil es da angeblich Tequila umsonst gab.

„Da vorne ist Karstadt, hier ist der Herrmannplatz...“ was soll's, trink‘ ich eben mit den Neuköllnern auf gute Nachbarschaft und mische noch ein paar feige Säue bei der CDU auf. Feige Sau? Besteht aus Feige in Wodka und oben drauf Sahne mit grünem Pfeffer.

Andreas Döhler

Noch heute auf dem Mariannenplatz mit Say Say, Invadors, Dirty Fingers, moderiert vom wahren Heino, und das alles umsonst.

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