: Von Abrüstung keine Spur - neue Cruise Missiles im Pazifik
„Der Vertrag über die Mittelstreckenraketen hat uns im Pazifik nichts gebracht“, stellt die Australierin Helen Whelan nüchtern fest. Sie ist als Delegierte der „Bewegung für einen atomfreien, unabhängigen Pazifik“ zur Internationalen Konferenz für eine atomwaffenfreie Welt nach Tokio gekommen, die hier wie jedes Jahr aus Anlaß des Hiroshima-Tages stattfindet.
Vertreter von 60 Gruppen aus aller Welt sind bei der größten japanischen Anti-Atombombenorganisation „Gensuikin“ eine Woche zu Gast. Geredet wird in diesen Tagen nur über ein Thema: die Aufrüstung im Pazifik. „Während sich die Supermächte in Europa den Anschein der Abrüstungsbereitschaft geben, schreitet die militärische Sicherung des Pazifik ungebrochen voran“, analysiert Whelan die verstärkte Stationierung marinegestützter „Tomahawk„ -Cruise-Missile-Atomraketen im Pazifik, die beim INF-Vertrag von der Diskussion ausgeschlossen waren.
„Im Bewußtsein der Europäer verläuft die direkte militärische Konfrontationsgrenze zwischen Ost und West immer noch zwischen der Bundesrepublik und der DDR“, kritisiert Marcelito Paez von der philippinischen Organisation „Nuclear Free Pazific Coalition“. „Von der Bering-See über die japanische Insel Okinawa bis zu den Philippinen ist die direkte militärische Konfrontation der Supermächte heute nicht mehr geringer. Strategisch aber ist die Situation im Pazifik gefährlicher als im militärisch genau abgesteckten Europa.“
In Tokio fand sich immerhin G.M. Lockshin, Generalsekretär der offiziellen sowjetischen Friedensorganisation, zu dem Eingeständnis bereit, daß „auch die sowjetische Abrüstungsdiskussion bisher zu sehr vom europäischen Standpunkt geleitet ist“. Im Pazifik ist der Gorbatschow -Effekt bisher ausgeblieben.
Am wenigsten wundern sich darüber die Bewohner der im Pazifik kolonisierten Inseln. Die einst von den US -Amerikanern mit Atombombenversuchen verseuchte pazifische Inselgruppe der Bikinis soll den USA künftig als Atommüllager dienen. Kaum Hoffnung konnten die Delegierten der Bikinis auf der Tokioter Konferenz vermelden, jemals auf ihr Land zurückkehren zu können. Dennoch: Stärke wie Ambivalenz der Friedensbewegung im Pazifik lag in den letzten Jahren gerade darin, die Forderung der Einwohner nach Unabhängigkeit mit der eher westlichen Maxime eines Atomwaffenverzichts zu verbinden. Whelan ist sich vor allem der Stärke sicher: „Wir dürfen weder der einen noch der anderen Forderung Vorrang einräumen. Denn darauf beruht die Einheit unserer Bewegung.“
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