: 8ung, Hochzeit!
■ Reporterin Connie Kolb war am 8.8. auf Brautschau
Es ist acht Uhr morgens, aber in den feierlichen Gesichtern ist keine Spur von Müdigkeit zu erkennen. Kein Wunder, in wenigen Minuten wird es ernst. Das zweite von 20 Kreuzberger Paaren steht im Vorraum des „Hauses der Familie“ und wartet auf das verbindende Ritual.
Für den Standesbeamten Nitsche kein Problem. In kaum 15 Minuten hat er die Formalitäten runtergerasselt, läßt noch ein paar sinnige Philosophien über die Ehe aus, und dann sind Martin Groß und Christina Gabe eines von ca. 320 Duos, die an diesem Tag „Mann und Frau“ werden. Und das ausgerechnet am 8.8.88, aber darauf haben die beiden nicht unbedingt spekuliert.
Anders bei dem wartenden Bräutigam, der draußen noch die letzte ledige Zigarette inhaliert. Für ihn und seine Freundin, die sich schon seit ihrer gemeinsamen Lehrzeit vor acht Jahren kennen, soll dieser Tag der Beginn der legalen Zweisamkeit sein. Für Herrn Johst, der in seinem Büro die letzten persönlichen Worte an seine Brautpaare zusammenschneidert, ist klar, die Leute wollen sich durch das handliche Datum ihre Hochzeit leichter merken können. Mit Aberglauben hat das weniger zu tun. Sagen sie jedenfalls alle.
In Neukölln stehen die Frischvermählten steif grinsend vor den Familienlinsen. Hier will auch niemand zugeben, daß sie an das große Glück und die Harmonie, die für die Zahl acht steht, glauben. Oder an die Unendlichkeit, würde man die zwei zusammengesetzten Nullen in die Horizontale legen.
Das nächste Ziel ist Moabit. In einem düsteren Seitenausgang des Bezirksamtes in der Turmstraße frißt sich ein Pulk von Tauben an den Reiskörnern satt, die den Eintags -Glückseligen von den Köpfen gefallen sind. Die neugierigen Omis haben hier bis 18 Uhr die Chance, alle 31 abgesegneten Ehepaare zu begutachten. Hier sind die Jasager schon straighter. „Heute oder nie“, sagt eine Spitzenkleidmaid.
Sie hat am 1.Februar, zwecks Buchung des begehrten Standesamtstermins gleich um sechs Uhr morgens die Telefonleitung blockiert.
Es ist schwierig, unter der Festgesellschaft die richtigen Brautleute auszumachen. Geschniegelte Eleganz in praller Sonne treibt die Transpiration in den Viskoseroben voran. Der Pret-a-Porter-Gigant C&A (Charme & Armut) scheint von diesem Rummel massenhaft zu profitieren. Auf den Straßen hält sich alles in gewohntem Gang. Es ist halt Montag und das Leben geht weiter.
Das Standesamt Wedding dagegen hat mit seinem großen Areal vor der Treppe die idealen Bedingungen für Schaulustige. Auch hier scharen sich eher ältere BewohnerInnen, die einfach nur gucken wollen, „was da so den ganzen Tag die Tür rauskommt“. Hier ist jedoch schon um 14.40 Uhr der Zug abgefahren und vier Standesbeamte geben schichtmäßig 40 Paaren Hilfestellung für den Weg ins Glück zu zweit. Um halb elf - endlich - erscheint die erste strahlende Braut im obligatorischen Weiß. Als das Ritual beendet ist und die Erinnerungsfotos in allen Positionen im Kasten sind, brausen sie mit wehendem Schleier mit ihrem gemieteten BMW-Cabrio (193 Mark proTag) gen Kirche.
Um 12 Uhr öffnet dann in Alt-Reinickendorf die 500 Jahre alte Dorfkirche ihre Pforten für die ersten Kunden. Fünf sind es insgesamt, die innerhalb von 40 Minuten Singen -Beten-Jasagen-inklusive-Ringeanlegen, über sich ergehen lassen werden. Als die Neugebundenen unter Kirchengeläut‘ die Stätte verlassen, stehen die Politessen-Kolleginnen der Braut Spalier und winken mit ihren Kellen in den Himmel der Liebe. Viele Paare scheinen wie unter Drogeneinfluß, doch es gibt auch eher verwirrte Mienen, die die Treppen herabsteigen. Auf dem Rückweg zum Wedding findet die Kellenwedelei nochmal in männlicher Polizei-Formation statt. Dort wird das Paar symbolisch in Handschellen gelegt, was den Umstehenden gleich einen Applaus wert ist.
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