: Two-Tone-Power gegen Englands Yuppies
Seit zwei Wochen tourt die Kampagne „Rock against the Rich“ durch das Königreich / Eine Invasion von neureichen BMW-Fahrern mit gestärkten Oberhemden macht in den Arbeitervierteln der britischen Metropolen die Preise kaputt ■ Aus Manchester Rolf Paasch
Manchester an einem ganz gewöhnlichen Freitagabend. In „Tetleys“, einer viktorianischen Plüschbar, treffen sich im Bankenviertel der nordenglischen Metropole die Möchtegern -Yuppies mit Freundinnen und Sekretärinnen zum Drink nach Dienstschluß. Die Konversation über die wieder gestiegenen Hypothekenzinsen fürs Eigenheim ist so steif, wie ihre gestärkten, blauweiß-gestreiften Oberhemden es sind. Während die Golf GTIs auf dem Firmenparkplatz um die Ecke noch geduldig auf die Heimfahrt in die Vorstädte warten, werden die reichsten der Neureichen wie in anderen britischen Großstädten demnächst zu Fuß nach Hause gehen können: in die gentryfizierten Teile der Innenstadt entlang des Grand-Union -Kanals.
„Gentryfication“, sagt Tim von der Anarcho-Gruppe Class War am anderen Ende der Stadt, „die Invasion der Yuppie -Parasiten macht unsere Innenstädte kaputt, weil's sich dort sonst niemand mehr leisten kann zu wohnen. Dagegen machen wir Musik.“ Tim, der - darauf legt er Wert - aus dem Londoner East End kommt, also solide „working class“, sitzt in einem abgewrackten Bus der Kampagne „Rock against the Rich“, die seit gut zwei Wochen durch Großbritannien tourt. Wie heute abend im International Two seien fast alle bisherigen Konzerte ausverkauft gewesen. In Sheffield vor einer Woche kamen über tausend, und in Poole, an der idyllischen Südküste Englands, versorgte „Rock against the Rich“ das Lokalblättchen gar mit dem Stoff für die Horrormeldung auf der Titelseite.
Dabei sind die meisten Class War-Aktivisten, die beim Rock gegen die Reichen federführend sind, privat so milde und friedlich wie englische Ladies beim „Afternoon Tea“. Während das angeblich 20.000mal verkaufte Polit-Blättchen der Gruppe in pseudo- revolutionärem Brutalo-Speak von „Yuppie-Bastards“, „Tory- Schweinen“ und ähnlichem „Abschaum“ handelt und eine „Hitliste“ von bei Ausschreitungen verletzten „Bullenschweinen“ herausgibt, sollen die Rockkonzerte nun ein breiteres Publikum ansprechen. „Wenn's geht, spielen wir wie hier in Manchester in Arbeiterbezirken.“ Der Veranstaltungsort des International Two liegt in einem solchen verslumten, innerstädtischen Arbeiterviertel, aus dem die Arbeit längst ausgezogen ist. Gegenüber zeugen vernagelte Parterrewohnungen und mit Glassplittern übersähte Parkplätze von heftigen Untrieben; und davon, daß die von der Regierung Thatcher groß angekündigte „Erneuerung der britischen Innenstädte“ das Viertel von Rushholme offenbar noch nicht erreicht hat. Der mobile Windschutzscheiben-Ersatzdienst parkt direkt neben dem Eingangstor, und Jugendliche bieten für einen Obulus Parkwächterdienste an. Das Geschäft blüht, um 22 Uhr ist die ganze Straße zugeparkt, strömen die Rockfans die Eingangstreppe hinauf.
„'Rock against the Rich‘ is okay“, sagt ein sorgfältig modellierter Post-Punk auf die Frage, warum er denn hierher gekommen sei. „Aber Joe Strummer von den Clash, Mann, da mußt du einfach hin, Klassenkampf oder nicht.“ Jener Joe Strummer, einstmals Sänger der legendären Punkgruppe The Clash, ist das Zugpferd der musikalischen Anti-Yuppie -Kampagne. In der Tradition der erfolgreichen „Rock gegen Rassismus„-Bewegung der späten siebziger Jahre rockt er seitdem ungebrochen, unentwegt und unbezahlt für jedes Benefizkonzert von „amnesty international“ bis hin zu den punkhungrigen Freaks der britischen Ökoszene. Joe und Mat Runacre, erprobte Klassenkampf-Organisatoren aus den yuppiefizierten Londoner Docklands, hatten die Idee zu der Konzertreihe eines Abends in Ost-London beim Bier ausgeheckt; gegen Volvos und Winebars sozusagen. Auch One Style, die Londoner Reggae-Band, deren bauchfellerschütternder Beat gerade dem Publikum einheizt, kommt aus Hackney im Londoner Osten, wo die Invasion der Yuppies die Hauspreise binnen drei Jahren verdoppelt hat und die Voreinwohner verdrängt. Aber wie steht Class War denn zu den doppelverdienenden Sozialarbeiterpärchen, die gezwungen seien, sich in Hackney streichholzschachtelgroße Apartments zu kaufen, wollen sie im Thachter-Kapitalismus überhaupt noch ein Dach über dem Kopf haben. „Sind das auch Yuppies?“ „Nee“, räumt er ein, aber bei den Volvos und BMWs
-deren Autoantennen und Silberlackierung denn auch öfter dran glauben müssen - fange das Yuppietum und damit der Zorn seiner Bewegung definitiv an. „Die andern, die du meinst, kommen ja sogar in unsere Konzerte.“
In der Tat, auch in Manchester ist das Publikum querbeet. Doch trotz unterschiedlicher Kleidung haben Hippies, Gothics, Designer-Anarchos, Popper, Spätpunks und die nur einfach unbeschreiblich Grauen an diesem Abend vieles gemeinsam: eine unglaubliche Toleranz für die sexistischen Ansagen des publikumsbeschimpfenden working-class -Komödianten („you fucking cunt, you“); drei Bierdosen intus und mindestens zwei noch in der Hand sowie der Wunsch nach Joe Strummer.
Als dessen Rockabilly- und Latino-Band schließlich die Bühne betritt, ist gleich der ganze Saal aus dem Häuschen. Bald klingen die altbekannte Punk-Hymnen aus 1.500 Kehlen wie sonst nur die Gesänge auf den Stadionrängen von Manchester United. Auch seinen „Befreiungs„-Tango und Santanas „Oye Como Va“ im Two-Tone-Rhythmus macht Strummer so schnell keiner nach. Eine Stunde lang wird das legendäre Sandinista-Album der Clash vor und zurück gespielt, so frisch und knallhart, als sei es gestern erst herausgekommen. Gröhlend und hechelnd läßt der Bob Geldof der britischen Innenstädte die Musik der Live- und Band-Aid -Spektakel an diesem Abend wie Kammermusik klingen.
Und am Ende, als sich alles vom Springen und Faustrecken erschöpft in den Armen liegt, gibts noch „London Calling“, London ruft gegen die Yuppies als Vorboten der Apokalypse. Joe Strummer krächzt, röhrt und rockt gegen die Reichen, die Yuppies, gegen egal was, Hauptsache er rockt. „Mensch“, sagt einer der abgefüllten Fans, der sich nach dem Ende des Konzerts draußen gegen einen Autoreifen entleert - so als müßten Männer nicht nur immer gegen etwas rocken, sondern auch gegen etwas pissen - „so'ne Musik hab‘ ich schon lange nicht mehr gehört.“
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