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Hierarchie der Konfessionen

■ Das Gruselparlament

17 Volksgruppen zählt das Land - eine, die jüdische, ist fast ausgestorben. Von den übrigen sind drei Gruppen muslimisch - die Sunniten, die Schiiten und die Drusen -, 13 sind christlicher Religion. Die wichtigsten unter ihnen sind die Maroniten, die Orthodoxen und die Katholiken.

Als der Libanon 1943 unabhängig wurde, schlossen seine politischen Führer einen nationalen Pakt: Sie verteilten die administrativen und politischen Posten nach Volksgruppen proportional der Größe jeder Gruppe. Seitdem sind von 100 Beamten immer 20 Sunniten, 19 Schiiten und sechs Drusen insgesamt also 45 Posten für die Moslems. Die restlichen 55 gehen an die christlichen Gruppen.

Auch das Parlament wird nach der sakrosankten Proportion 45:55 gewählt. Ursprünglich war diese Regelung ein Provisorium, die Zeit sollte aus den Libanesen ein einziges Volk machen. Stattdessen ist sie zum Motor der Spaltung des Landes geworden.

Will jemand Soldat, Beamter, Wähler oder Abgeordneter werden, so muß er Mitglied einer Gruppe - eingetragen in seinem Personalausweis - sein. Und die Logik treibt ihre Blüten: die standesamtliche Trauung ist verboten, es ist fast unmöglich, die libanesische Staatsangehörigkeit zu bekommen. Jede Konfession fürchtet, eine andere könnte sich auf diese Weise „künstlich“ vergrößern. Die Regierungsgewalt liegt in den Händen des Präsidenten der Republik grundsätzlich ein Maronit. Der wiederum stützt sich auf einen ebenfalls maronitischen Generalstabschef. Der Premierminister dagegen ist Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit.

Der Ämterteilung entspricht die Hierarchie der Volksgruppen: an der Spitze die Maroniten, die aber auf den Konsens mit den Sunniten angewiesen sind - und als dritte die Schiiten, die über „ihren“ Parlamentspräsidenten die Abgeordneten einberufen. Das Primat einer Volksgruppe wird also durch die beiden untergeordneten Gruppen kontrolliert. Kein Wunder, daß jeder Reformversuch, der dieses System in Frage stellt, von der führenden Volksgruppe als Aggression betrachtet wird.

Aus: 'Politis‘ (Paris), August 1988

Das Gruselparlament

Zum letzten Mal im Jahre 1972 gewählt, umfaßt die einzige libanesische Parlamentskammer 99 Abgeordnete (nicht eine einzige Frau), die im Verhältnis von sechs zu fünf christlichen und moslemischen Bevölkerungsgruppen angehören.

Seit 1976, der libanesische Bürgerkrieg war bereits auf dem Höhepunkt, wurde die eigentlich vierjährige Amtszeit um jeweils zwei Jahre verlängert, Neuwahlen konnten aus Sicherheitsgründen nicht mehr durchgeführt werden. Im Lauf der Jahre starben 22 Abgeordnete eines natürlichen oder gewaltsamen Todes, Sheik Amine Gemayel räumte, als er 1982 zum Präsidenten gewählt wurde, seinen Abgeordnetensitz. 76 Abgeordnete sollen in diesem Jahr den Staatspräsidenten wählen.

Im Vorfeld der Wahlen kam es zum spektakulären Streit um das notwendige Quorum, an dem sich Politiker, Rechts- und Verfassungsexperten mit offenbar wachsender Begeisterung beteiligten. Laut Verfassung braucht der Präsident im ersten Wahlgang eine Zwei-Drittel-Mehrheit, im zweiten reicht die einfache Mehrheit. Für die Wahl '88 wurde nun mit bitterem Ernst gestritten, ob das Quorum von der Abgeordnetenzahl des Jahres 1972 - inklusive der Hingeschiedenen - zugrunde gelegt oder die Zusammensetzung des Parlaments vom aktuellen Stand aus berechnet werden soll.

Ein nicht unwichtiger Streit, denn zumindest bei den letzten zwei Wahlen der Vergangenheit wurde versucht, über den Hebel des Quorums zusätzlich an der Wahl zu manipulieren. Bestimmte Abgeordnete wurden mit Waffemgewalt an der Abstimmung gehindert, andere mit Waffengewalt in die Sitzung geschafft.

Nach einer Legislaturperiode von 16 Jahren kann ohne Häme von einer Greisenversammlung gesprochen werden: ungefähr ein Drittel der Abgeordneten ist über 70 Jahre alt, sechs sind weit über 80, den Rekord hält ein 87jähriger; der mit 43 Jahren jüngste Parlamentarier aus Westbeirut hat sich übrigens Anfang diese Jahres den Ehrentitel des schnellsten parlamentarischen Pistolenschützen geholt: er erschoß einen Attentäter, der sich nächtens ins Zimmer des schlafenden Ehepaars geschlichen hatte.

In diesen 16 Jahren ist eine ganze Generation groß geworden, die noch niemals um ihre Stimmen gebeten wurde. Und mehr als 100.000 Menschen starben seit den letzten Wahlen im Krieg, einige hunderttausend verließen den Libanon und suchten vorzugsweise im westlichen Ausland ein neues Zuhause.

So wird die Organisation von Neuwahlen - und dabei ist vor allem auch das alte Proporzsystem äußerst umstritten - eine der dringlichsten Aufgaben eines neuen Staatsoberhauptes sein. Es bedurfte nicht erst der Meinungsumfragen, um festzustellen, daß vor allem die jungen Libanesen und Libanesinnen sich von den heutigen Parlamentariern nicht oder nur wenig repräsentiert fühlen.

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