: Volles Haus 2.Akt
■ Übernahme der Steuerreform durch das Abgeordnetenhaus klappte doch noch
Ungewohnt geschäftig ging es gestern morgen trotz der sommerlichen Temperaturen im und am Rathaus Schöneberg für eine knappe halbe Stunde zu. Wohl um sich nicht erneut nachsagen zu lassen, sie seien zu bequem, die Stoltenbergsche Steuerreform mehr oder weniger zähneknirschend in Bundestreue fest, passieren zu lassen, waren diesmal mehr als genug ParlamentarierInnen zur Übernahme derselben und weiterer zehn Bundesgesetze für eine um neun Uhr anberaumte Feriensitzung des Abgeordnetenhauses herbeigeeilt. Wie berichtet, ging dieser Routinevorgang am 9.Juli beim ersten Anlauf in die Hose, weil die AL ganz und gar boshaft und seit 1951 einmalig in der Parlamentsgeschichte, die Beschlußunfähigkeit des Gremiums hatte feststellen lassen. Gestern nun ergaben die 112 von 144 erschienenen VolksvertreterInnen eine satte beschlußfähige Mehrheit. Sie ließen auch ein wahrscheinlich segensreiches Gesetz „über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe“ binnen zwölf Minuten passieren.
Während beispielsweise immerhin 41 von 48 gewählten Sozis gezwungenermaßen auf ihren Sesseln rutschten, machten sich die alternativen Urheber der ganzen ärgerlichen Doppelprozedur ziemlich rar. Nur sieben von 15 AL -FraktionärInnen sah man. Dafür richtete der große Vorsitzende Wolfgang Wieland als einziger eloquent das Wort an die „so zahlreich erschienenen Kolleginnen und Kollegen“ und wies gegen das demonstrativ anschwellende Gemurmel das Ansinnen ab, Stoltenbergs „Raubzug gegen die sozial Schwächeren“ und zugleich der stattlichen Diätenerhöhung für Bundestags- und Europaabgeordnete zuzustimmen.
Der Saal wäre noch voller geworden, wäre der behinderte ALer Michael Eggert mit seinem Rollstuhl dorthin gelangt. Ihn hinderten gleich zwei defekte Fahrstühle.
thok
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