„Die Dorfkultur ist bereits zerstört“

Der österreichische Grüne Christoph Chorherr schildert Eindrücke einer Privatreise durch Siebenbürgen  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie sind vor wenigen Tagen aus Rumänien zurückgekehrt. Sie haben dort siebenbürgische Dörfer besucht, die von Ceausescus „Systematisierungsprogramm“ bedroht werden. Wie ist die Stimmung in diesen Dörfern?

Christoph Chorherr: Generell herrscht eine unvorstellbare Resignation in ganz Rumänien. Sie betrifft alle, Bauern wie Intellektuelle. Seltsamerweise ist die Sorge, die die Menschen am meisten bedrückt, nicht das anstehende Dorfzerstörungsprogramm. Im Vordergrund stehen ganz konkrete wirtschaftliche Probleme des Alltags. Bei uns kann man sich das nicht wirklich vorstellen - es gibt dort wirklich fast nichts zu essen.

Was denken denn die Bauern über das bevorstehenden Dorfzerstörungsprogramm?

Sie hoffen vage, daß es ihr Dorf nicht treffen wird. Es gibt ja nirgendwo genaue Informationen darüber, welches die 8.000 Dörfer sind, die geschleift werden sollen. Es wird viel gemunkelt. Ich selbst habe kein abgerissenes Dorf und keine neuen Wohnblocks gesehen.

Wovon leben denn die Bauern in ihren Dörfern?

Sie ernähren sich zum Teil selbst - sie halten sich Kleintiere und bebauen alle winzige Gärten. Da ziehen sie Tomaten, Zwiebeln, Gemüse. So retten sie sich über die Runden.

Welche Auswirkungen hat es auf die Versorgungslage, wenn es keine Dörfer mehr geben wird?

Das bedeutet Hungersnot. Die selbstgemachten Produkte sind lebenswichtig und ein unersetzliches Tauschmittel. Geld spielt eine unbedeutende Rolle in Rumänien - der Handel basiert quasi auf Tauschwirtschaft.

Wie sehen die Dörfer heute aus?

Es gibt dort überall intakte Dorfsiedlungen, fast immer mit einer Kirche im Zentrum. Dazu gehört manchmal eine Kirchenburg - sie stammt oft aus dem 12.Jahrhundert und ist samt Kirche und umliegenden „Specktürmen“ noch in Betrieb. Vieles ist erstaunlich gut erhalten. Da wurde in den letzten zehn, 15 Jahren noch repariert.

Was für eine Perspektive sehen die rumänischen Bauern in Siebenbürgen für sich?

Was die deutsche Minderheit angeht, so habe ich dort niemanden getroffen, der nicht dort weg wollte. Alle, mit denen ich geredet habe, haben einen Ausreiseantrag gestellt. Deshalb - und das ist eine Entwicklung der allerjüngsten Vergangenheit - verfallen mancherorts schon Häuser. Sie haben - das ist mein Haupteindruck - eigentlich ihre Dörfer schon aufgeben. Ich bin hingefahren mit der Erwartung, das Hauptproblem dieser Meschen sei die drohende Vernichtung ihrer Kultur. Was ich gelernt habe war, daß diese Kultur bereits zerstört ist.

Was bedeutet das für die zwei Millionen der Ungarische Minderheit, die nicht die Wahl haben, Rumänien zu verlassen, und was bedeutet es für die Rumänen selbst?

Auch sie werden von der gleichen Resignation beherrscht. Es gibt fast keine politische Opposition. Jeder dritte im Land ist ein Spitzel. Was ich auch gelernt habe: Wir hier fragen uns in verzweifelten Situationen noch: Was tun wir jetzt? Dort stellt sich niemand mehr diese Frage.

Interview: Martina Kirfel