: Gegen Pflegenotstand hilft kein Pflichtjahr
■ Als Forderung Nummer eins gegen den Pflegenotstand in den Krankenhäusern nennt die Krankenschwester Gisela Eberling „mehr Planstellen“ / Nach wie vor gelten die Stellenpläne aus dem Jahre 1969
I N T E R V I E W
taz: CDU- und FDP-Politiker haben plötzlich den „Pflegenotstand“ in Krankenhäusern entdeckt und wollen nun ein „soziales Pflichtjahr“ für Frauen einführen. Gibt es diesen Notstand?
Gisela Eberling: Ja, klar gibt einen Notstand. Aber den kann man natürlich nicht durch ein „Pflichtjahr“ für Frauen beheben. Da müssen halt mehr Planstellen geschaffen werden. Wir arbeiten ja auch schon seit Jahren mit der gleichen Anzahl von Stellen, obwohl mehr Urlaub und mehr Freizeit dazu gekommen sind.
Bundesärztekammerpräsident Vilmar erklärte jetzt, daß mit geringfügiger Veränderung noch die Stellenpläne von 1969 gelten. Was bedeutet das konkret für die Arbeitssituation?
Es herrscht ein schlechtes Arbeitsklima, die Stimmung ist fast immer gereizt. Das geht dann natürlich auf die Patienten über. In den städtischen Krankenhäusern sind drei bis vier Überstunden pro Tag keine Ausnahmen. Aber es geht nicht nur darum. Wir haben jetzt eine hochtechnisierte Medizin. Man muß den Patienten eine Vielzahl von Untersuchungen erklären und reihenweise Zettel ausfüllen. Die Bürokratie im Krankenhaus ist viel, viel umfangreicher geworden.
Reicht es dann aus, mehr Stellen zu fordern?
Doch, das ist die wichtigste Forderung. Aber wir brauchen auch eine bessere Bezahlung, damit der Beruf attraktiver wird. Wir haben die ganzen Feiertags- und Wochenendarbeiten und Nachtschichten - das alles wirkt sich ja auch auf das Privatleben aus, du kannst nicht auf Feten gehen usw. Mit einem Bein stehst Du immer Abseits. Und dann das Problem der Kinderbetreuung. Hier im Klinikum Steglitz (Berlin-West) haben wir zum Glück einen Kindergarten, aber der hat auch nur bis 18 Uhr geöffnet. Dann unsere Arbeitsbedingungen: Es fehlt an Räumen, in denen man mal in Ruhe etwas ausarbeiten könnte. Einen Pausenraum gibt es bei uns überhaupt nicht.
Hängen diese Probleme nicht auch mit dem Berufsbild der Krankenschwester zusammen?
Im Grunde haben wir kein klares Berufsbild, in dem festgeschrieben ist, was eine Krankenschwester alles tun muß bzw. nicht tun muß. Wir machen vom Fußbodenwischen bis zum Essenausteilen alles. Aber es gibt natürlich diesen Anspruch der „Nächstenliebe“. Darum gibt es bei Krankenschwestern auch nur magere Ansätze, sich politisch zu betätigen. Zum einen hindert uns der Schichtdienst daran, zum anderen der öffentliche Druck, Aktionen wie ein Streik zum Beispiel gingen zu Lasten der Patienten.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Ärzten?
Der Arzt ist wieder der, der das Sagen hat. Die Zeit, als es ein Miteinander zwischen Ärzten und Schwestern gab, ist vorbei.
Interview: Helga Lukoschat
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