Annahme verweigert - zurück an Absender

■ Italien wartet auf die Rückkehr von 20 Giftschiffen / Die „Zanoobia“ wurde in Genua entladen

An lokale Streiks sind die Italiener ja gewohnt, seit die unabhängigen Basisgewerkschaften Unternehmer und Staat das Fürchten gelehrt haben. Doch der Streik, der heute in dem Adria-Städtchen Ravenna beginnen soll, hat mit den „comitati di base“ nichts zu tun. Gemeinsam wollen Fischer und Hafenbehörde verhindern, daß die Regierung in Rom ein in Nigeria abgewiesenes Schiff, gefüllt mit Giftfässern, entladen läßt. Wenn nötig, mit einer Hafenblockade.

Sandro Filoni, seines Zeichens Fischer, gehört „nicht zu denen, die jedem Aberglauben anhängen“, aber - seine Hand weist auf die geradezu gespenstisch gelbbraunglänzende, leicht bewegte Oberfläche der See vor Marina die Ravenna „soll man diese mächtigen Zeichen der Natur nicht ernstnehmen? Ist es nicht geradeso, als wollte uns das Meer ein letztes Mal warnen?“ Schwer, sich der Beklemmung zu entziehen, die die Menschen zwischen Lido di Classe und Porto Garibaldi um Ravenna herum befällt, wenn sie ihre einst als blau besungene Adria betrachten: Die vor Wochen hochgesprudelte Algenblüte ist in eine Fäulnis ungekannten Ausmaßes übergegangen, auf 40 Kilometer Länge und drei bis vier Kilometer Breite schwimmt jener organische Brei, der vor wenigen Tagen auch die Lagune von Venedig hat endgültig kippen und zum toten Meer werden lassen.

Genau in diese Brühe vor Ravenna hinein soll nun in den nächsten Tagen die „KarinD.“ dampfen, ein von der italienischen Regierung gechartertes Schiff, randvoll mit Giftfässern. Der Transport kommt aus Nigeria und stellt ein ursprünglich auch von Umweltschützern gelobte Unternehmen dar: Die Regierung De Mita, neu im Amt und auf dem letzten Wirtschaftsgipfel in Toronto als Vorreiter internationaler Umweltschutznormen profiliert, hatte dem afrikanischen Land versprochen, den dorthin verschifften Industrieschmutz zurückzunehmen. Doch nun, da er zurückkommt, stellt sich heraus, daß es außer der „noblen Geste“ (Regierungs-Eigenlob - „weil die Verträge zur Annahme der Abfälle ja eigentlich gültig waren“) keinem Entsorgungsplan in Italien gibt.

„Ravenna wurde ausgewählt“, versichert der Sprecher des Industrieministeriums, „weil hier die Chemiefirma Enichem über Anlagen verfügt, um die Rückstände ohne jegliche Gefahr für die Umwelt zu vernichten„; auch Umweltminister Giorgio Ruffolo höchstpersönlich hat den Abgesandten der Region Emilia Romagna einzureden versucht, „daß es zu Ravenna derzeit keine Alternative gibt“. Da lachen freilich alle etwas gequält. „Alternative?“ sagt Bernardo Di Bello von der Chemiegewerkschaft, „wenn man denn nun mal wüßte, was überhaupt drin ist in den Fässern.“ Der Minister für Zivilschutz, Lattanzio, hat in schöner Offenheit eingestanden, daß er „über die Zusammensetzung der giftigen Abfälle keine, aber auch gar keine Informationen“ hat; bisher ist noch nicht einmal klar, wer denn den Schmutz eigentlich nach Nigeria geschafft hat.

Mit einer zaghaften Gegenoffensive versuchen Regierungsbeamte inzwischen, die Geschichte wieder auf die Nigerianer zurückzuschaufeln: „Die haben uns“, mault ein Zivilschutzmann, „auch noch zusätzlich neue Fässer reingepackt mit dem Erdreich, auf dem die schon ausgeladenen Fässer gestanden haben.“ Was Wunder auch - die paar von den nigerianischen Hafenpolizisten geöffneten Fässer sollen alles, nur nicht die darauf deklarierten „leicht giftigen Rückstände“ enthalten und eine Reihe unvorsichtiger Faßöffner schwer geschädigt haben.

Gegen Nachmittag verbreitet sich die Kunde, daß neben der „KarinD.“ noch zwei weitere Schiffe mit Gift an den italienischen Absender zurückkommen werden; im Umweltschutzministerium raunt man bereits etwas von fünf, Umweltschutzverbände vermuten derzeit an die 20 Giftfrachter auf Irrfahrten unterwegs. Manche kommen aus Somali, einige aus Äthiopien, eines der beiden nun auch offiziell angekündigten ist von Libanons Küsten her unterwegs. Auch über die Größe der Ladung auf der „KarinD.“ besteht Unklarheit - während die Firma Enichem nur von 2.000 Tonnen gehört haben will, vermutet das Industrieministerium 6.000 bis 8.000 Tonnen, im Umweltschutzministerium spricht man schon von „durchaus möglichen 20.000“, und die Grüne Abgeordnete Anna Donati, bekannt für vorsichtige und zuverlässige Informationen, weiß von „mindestens 30.000 Tonnen“.

Herkunft der Abfälle ist ganz Europa - Italien hat sich zur Drehscheibe des Giftmüllexports entwickelt, der ausgezeichneten Beziehungen des Landes zu nahezu allen Länder der Dritten Welt wegen, wohin die Italiener Unmengen von Waffen hinleiten - wenn nötig auch gegen Embargobeschlüsse wie im Fall Äthiopien - und wo man dann gerne auch Riesenladungen unverdaulicher Giftkontainer stapelte. Im italienischen Industrieministerium wird schon vermutet, daß die plötzliche Annahmeverweigerung durch afrikanische Länder nicht nur mit gewachsenem Umweltbewußtsein zusammenhängt, sondern auch mit der Tatsache, daß diese Länder ihren „Wert“ für die Entsorgung der Ersten Welt entdeckt haben und nun höhere Preise verlangen wollen.

Die Menschen in Ravenna können mit solchen Erwägungen nichts anfangen, und Grüne schon gar nicht, die natürlich den Giftmüll in Nigeria oder im Libanon als gefährlicher ansehen, weil dort völlig sachunkundig gelagert oder einfach ins Meer geworfen wird. „Allerdings können wir auch nicht sicher sein“, sagt Anna Donati, „daß das Zeug bei uns hier sachkundig vernichtet wird.“

Und solche Sorge ist angesichts der jüngsten Aktion auf der anderen Stiefelseite durchaus nachvollziehbar. Dort, im Hafen von Genua, wird derzeit die „Zanoobia“ entladen, jenes Giftschiff, das nach einer eineinhalbjährigen Irrfahrt hochtoxischen europäischen Müll zurückgebracht hat. Wer hier bei der Entladung zusieht, reiht sich ein in die Front aller, die solche Ladung nicht mehr annehmen wollen. Wie Marsmänner nähern sich dick eingehüllte, gasmaskenbewehrte Entlademannschaften dem Schiff (dessen syrisch-libanesische Mannschaft schon seit neun Wochen in ärztlicher Behandlung ist). Sie holen die Fässer einzeln heraus, öffnen sie - und schon bekommt man selbst an der Absperrung, 500 Meter weiter, den stechenden Geruch mit. Proben werden entnommen, die Fässer wieder geschlossen, einige davon in größere Behälter gehievt - offenbar waren sie leck.

Doch was die Italiener am meisten aufbringt: So sehr sich Zivil- und Umweltschutzministerium mit den aufgestellten Meßgeräten zum Schutz der Bevölkerung brüsten - was mit den Fässern geschieht, fällt unter Regierungsgeheimnis. „Vielleicht werden sie sogar im Ausland vernichtet“, munkelt ein Beamter. Nicht gerade eine glückliche Information waren die Fässer doch gerade aus dem Ausland zurückgekommen. Die Geheimniskrämerei hat, so Sandro Filoni, der Fischer, „jedenfalls den Rest von Vertrauen zur Entsorgungskunst unserer Regierung zerstört“.

Der Bürgermeister von Ravenna, Mauro Dragoni, hat zusammen mit der Regionalverwaltung und - seltene Einigkeit - allen Umweltschutzvereinigungen, den Händler- und Fischerverbänden und sogar der Hafenbehörde für den heutigen Freitag einen Generalstreik ausgerufen. Am Wochenanfang, wenn die „KarinD.“ erwartet wird, wollen alle Schiffs- und Schiffchenbesitzer bis hin zu Tretbootfahrern den gesamten Hafen Ravenna weiträumig absperren.

Lage hoffnungslos, aber nicht ernst. Die Regierung jedenfalls ist soeben in Ferien gegangen.

Werner Raith