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Mini-AKWs auf Schleichwegen

Umweltministerium in Hannover bestätigt Befürchtungen der Bürgerinitiativen / Nach Typengenehmigung Bau von HTR-Modul-Reaktoren in Serie möglich  ■  Aus Hannover H.-J. Koch

Nach dreistündiger Diskussion im hannoverschen Umweltministerium war den VertreterInnen mehrerer niedersächsischer Bürgerinitiativen und des BUND Niedersachsen eines klar: die neuen HTR-Modul-Reaktoren sollen gebaut werden, fragt sich nur wann. Das Ministerium plant, die BürgerInnenbeteiligung erheblich einzuschränken, indem der neuen Baulinie eine als „Vorbescheid“ getarnte grundsätzliche Typengenehmigung erteilt wird.

Auf den für industrielle Verbraucher und die Versorgung von Ballungsgebieten konzipierten „Hochtemperaturreaktor-Modul“ stützen sich die Hoffnungen der Atomindustrie für das nächste Jahrhundert. Dem von den Firmen KWU und Interatom beide Teil des Siemenskonzerns - beim niedersächsischen Umweltministerium eingereichten Genehmigungsantrag ist unlängst eine „Hochtemperatrureaktor-Planungsgesellschaft“ (HMP) aus Düsseldorf beigetreiten. Während 75 Prozent der Gesellschafteranteile dieser GmbH von dem Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr.Hans Perwitz gehalten werden - einem Strohmann, wie die Bürgerinitiativen vermuten - sind 25 Prozent im Besitz der „Vereinigung industrielle Kraftwirtschaft“. In diesem Verein sind rund 230 der größten Industriebetriebe der BRD zusammengeschlossen, was die Bedeutung des HTR-Modul als Lieferanten industrieller Prozeßwärme unterstreicht.

Die Vertreter des Ministeriums bestätigten im Gespräch mit den Umweltschützern, was bereits im niedersächsischen Energieprogramm 1988 niedergeschrieben wurde: Man ist fest entschlossen, den HTR-Modul zu genehmigen. Nach Darstellung Winfried Siebers, Referatsleiter für Atomkraft, ist entgegen den ursprünglichen Planungen allerdings erst Ende 1988 oder zu Beginn des Jahres 1989 mit der öffentlichen Auslegung der Planungsunterlagen in Hannover zu rechnen. Mit dem Tag der Auslegung beginnt gleichzeitig die zweimonatige Frist, in der die Einwendungen gegen das Projekt eingereicht werden können. Mitte 1989 soll der Erörterungstermin steigen und Ende des Jahres die Entscheidung des Ministeriums vorliegen. Skeptiker sehen vor allem taktische Motive als Auslöser für die Verschiebung der Prozedur: Der sich entwickelnde Widerstand solle geschwächt werden.

Angekommen beim Thema „standortunabhängiger Vorbescheid“, versuchten die Vertreter des Ministeriums den Eindruck zu erwecken, als würde die BürgerInnenbeteiligung durch das Verfahren nach Paragraph 7a Atomgesetz keineswegs eingeschränkt. Horst zur Horst, Abteilungsleiter für Atomkraft im Umweltministerium: „Durch den Vorbescheid wird für die Bürger nichts präjudiziert“.

Unter „Vorbescheid“ verstehen die beamteten Wächter der Umwelt eine Basis-Genehmigung des HTR-Modul-Konzepts, ohne mit dem geplanten HTR-Standort herauszurücken. Genau das fürchten die BIs. Anna Masuck, Sprecherin der „Arbeitsgruppe gegen den HTR-Modul“ in Hannover: „Das Vorbescheidverfahren wird 'standortunabhängig‘ durchgeführt. Dies bedeutet: Wenn niemand weiß, wo ein HTR gebaut werden soll, dann kann sich niemand von den Gefährdungen betroffen fühlen, die von ihm ausgehen. Wenn ein Bürger in diesem Verfahren keine Einwendungen erhoben hat, kann er im nachfolgenden Genehmigungsverfahren zur Errichtung des AKW keine Klage mehr gegen die zuerst gefällte Entscheidung erheben. Auch dann nicht, wenn der HTR in unmittelbarer Nähe seines Wohnorts errichtet werden soll. Die Juristen nennen das Präklusion.“ Horst zur Horst dagegen legte Wert auf die Feststellung, daß selbst nach Abschluß des standortunabhängigen Vorbescheides „jede linksdrehende Schraube“ bemängelt und im standortbezogenen zweiten Verfahren gefordert werden könne, sie durch eine rechtsdrehende zu ersetzen“.

Nur, ob diese Einwendungen im Verfahren um den konkreten Standort vor Gericht Bestand haben, ist selbst nach Aussage des Ministeriums völlig ungewiß. Nach Ansicht des im Ministerium zuständigen Juristen Joachim Bock „spricht von der rechtlichen Seite einiges dafür, daß spätere Einwendungen gegen die technischen Anlagen nicht mehr gültig sein können“.

Fazit: Der Argwohn der BIs konnte nicht entkräftet werden.

Ganz im Gegenteil ist anzunehmen, daß nach einer grundsätzlichen Typengenehmigung mehrere Reaktoren in Folge gebaut werden können, ohne daß wichtige Teile der Anlage nochmals zu überprüfen sind. Selbst eine Weisung des Bundes an weitere Bundesländer, den niedersächsischen Vorbescheid zu übernehmen, ist nicht auszuschließen. Damit käme der Präklusion bundesweite Wirkung zu.

In Niedersachsen und bundesweit bereiten Bürgerinitiativen und Verbände sich jetzt auf die Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vor und wollen flächendeckend Einwendungen organisieren.

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