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Über Träume und Ausgeträumtes im Kollektivbetrieb

Eine Bilanz von 15 Jahren Selbstverwaltung aus Frauensicht / Durch das Wörtchen „alternativ“ ändern sich die Geschlechterrollen noch nicht / Eine Rezension  ■  Von Astrid Regall

Was ist dran am Traum von Selbstverwaltung im Kollektivbetrieb? Auf dem Büchermarkt gibt es inzwischen ungezählte Veröffentlichungen zu diesem Thema. Doch die Frage, wie das denn für Frauen aussieht, was aus ihren Ansprüchen und Idealen geworden ist, wird kaum gestellt. Der Reader „Frauen(t)raum im Männerraum“, herausgegeben von Martina Racki, füllt diese Lücke. Von persönlich -erzählerisch bis wissenschaftlich-professionell berichten die Autorinnen und ein Autor, was in Alternativbetrieben möglich, unmöglich oder nicht mehr möglich ist. Ein Problem, besonders für Frauen, ist nach wie vor das liebe Geld. Kollektivarbeit bietet für viele Beschäftigte kein ausreichendes Einkommen: „Manche MitarbeiterInnen arbeiten zusätzlich auf traditionellen Arbeitsplätzen. Andere beziehen ... BAföG, Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe“, schreiben Gerda Lischke und Melanie Nassauer. Besonders alleinerziehende Mütter sind oft gezwungen, in konventionelle Betriebe zurückzukehren oder dort dazuzuverdienen.

Was ist nun aus der Idee geworden, jede/r sollte alles machen können? Die Autorinnen Lischke und Nassauer berichten, daß der Trend von der Wunschvorstellung abweicht und sich eher feste arbeitsteilige Strukturen herausbilden. Wollen Alternativbetriebe wirtschaftlich überleben, brauchen sie mehr und mehr fachkompetente Spezialistinnen. Dem muß der Anspruch, „betriebsintern hierarchische Strukturen abzulegen“, immer mehr weichen. Erklärtes Ziel der Projekte war und ist es aber auch, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufzuheben. „Trotz dieser Zielsetzung ist eine vollkommene Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht erreicht“, stellt Martina Racki fest. Woran das liegt? Zumindest nicht nur an den Männern. Auch die Frauen tragen dazu bei, denn allein durch das Wörtchen „alternativ“ verändern sie nicht automatisch ihre antrainierten Verhaltensweisen. Auch in Kollektiven sind sie selten fähig, ihre Interessen durchzusetzen. Die Frauen sind ge-fordert und zugleich über-fordert durch ihren Emanzipationsanspruch und die gleichzeitige Angst zu „versagen“ bzw. die „Zuneigung“ des Betriebes zu verlieren. Daß Frauen in gemischtgeschlechtlichen Betrieben in alten, weiblichen Verhaltensmustern steckenbleiben, beschreiben anschaulich die Mitarbeiterinnen des Reutlinger Alternativ-Cafes „Nepomuk“. Die Frauen dominieren zwar in so wichtigen Bereichen wie Buchhaltung und Organisation, aber sie bleiben damit im Hintergrund. Im Rahmen des Cafes bieten die Nepomuk -Frauen inzwischen an einem Tag pro Woche ein Programm für Frauen an. Sie wollten sich klar werden, welche Arbeitsform für sie am effektivsten ist: „gemischt“ oder „nur mit Frauen“. Fazit für sie ist, daß sie im Frauencafe ihre inhaltlichen Ansprüche ans Projekt am ehesten verwirklichen können.

Machtstrukturen tauchen zwar auch bei Frauenprojekten auf, dennoch, so die Einschätzung der meisten Beiträge, bietet sich für die Frauen hier eher die Möglichkeit, sich auseinanderzusetzen, eigene Verhaltensweisen aufzudecken, ohne in einen „nur-Geschlechter-Konflikt“ zu verfallen. Kinder zu haben ist in „Frauenselbstverwaltung“ oft einfacher, weil von Anfang an mehr Rücksicht auf die Zeitplanung der Mütter genommen wird. Anders sieht es in „gemischten“ Betrieben aus: häufig können alleinerziehende Frauen nicht an den Plena teilnehmen und geraten dadurch ins betriebliche Abseits. Die Nicht-Eltern fühlen sich den „Betriebs-Kindern“ oft nicht gewachsen. „Die liebsten alternativen Kinder sind die, die sauber und pünktlich schlafen gehen“, wird das Verhältnis in einem Beitrag karrikiert. Ein anderes Kapitel behandelt Beziehungskisten, deren Ende dramatisch für selbstverwaltete Betriebe ist. Trennt sich beispielsweise ein Gründungspaar, ist die Finanzbasis des Projekts am wackeln. Die Frage, wer oder welche geht, beschäftigt dann häufig wochenlang das gesamte Kollektiv. Fazit der Autorinnen: von den vielen Träumen und Ansprüchen der Anfangsjahre haben sich nur wenige als lebbar erwiesen. Übriggeblieben als ein letztes Stück individueller Souveränität ist die Möglichkeit, freier über die eigene Arbeitszeit entscheiden zu können. Müssen wir also die Vorstellung, hier und heute anders arbeiten zu können, zu Grobe tragen? Bietet Alternativarbeit nicht doch noch andere Möglichkeiten? Wenn Frauen und Männer nach wie vor in ihren Verhaltensmustern feststecken, warum entstehen dann nicht mehr monogeschlechtliche Projekte? Das wäre sicher auch für Männer eine interessante Herausforderung. Den Traum von Selbstbestimmung am Arbeitsplatz bereits nach „nur“ fünfzehn Jahren ausgeträumt zu haben, wäre denn doch zu traurig.

Martina Racki (Hrsg.), Frauen(t)raum im Männerraum, AG -Spak-Publikationen, München 1988, DM 26,-

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