: Für eine Strategie der Verschiedenheit
Zwei neue Sachbücher von Anja Meulenbelt zeigen: das „Handgestrickte“ der 70er hat sie restlos abgelegt / Rundum gelungen ist ihr Handbuch zur Sexualität; anregend ihr Beitrag über die „Scheidelinien“ in der Frauenbewegung: Rassen- und Klassenunterschiede ■ Von Heide Soltau
Sie ist eine fleißige Frau. Jedes Jahr schreibt sie ein Buch, mindestens, unter dem macht sie es nicht. In der Bundesrepublik beliefert sie drei Verlage. Auch der Riese Rowohlt erkannte, daß sich mit der niederländischen Feministin gute Geschäfte machen lassen, und hat gerade den dritten Text von ihr herausgebracht. Für die 1978 noch unbekannte Anja Meulenbelt hätte sich wohl keiner der Etablierten interessiert und eine ihrer Schriften gedruckt. Diese Pionierleistung blieb der kleinen „Frauenoffensive“ vorbehalten.
Zehn Jahre ist es her, daß „Die Scham ist vorbei“ die Runde machte, und die Leidensgeschichte der unterdrückten Ich -Erzählerin, die nach diversen Ausflügen in Männerbetten die lesbische Liebe entdeckt, die Frauenwelt in Bewegung brachte. Auch wenn die Älteren unter uns die Bekenntnisse der Schamlosen damals veschlungen haben, eine begnadete Schriftstellerin ist Anja Meulenbelt nie gewesen, was sie an pseudoliterarischen Ergüssen von sich gegeben hat, war, rückblickend gesehen, mehr als peinlich. Als feministische Sachbuchautorin habe ich sie immer geschätzt. Anja Meulenbelt packt die Probleme mutig an, stellt Fragen und Thesen zur Diskussion und, das Wichtigste, sie ist dabei weder verbiestert noch dogmatisch. Immerhin scheut sie sich nicht, auch Irrtümer zuzugeben und eigene Lernprozesse transparent zu machen. Das ist selten unter Prominenten.
„Scheidelinien“, das Buch „über Sexismus, Rassismus und Klassismus“, hätte eigentlich schon vor Jahren erscheinen müssen, als die Frauensolidarität noch groß geschrieben wurde. Schon damals begannen einige darüber zu grübeln, was denn Industriellengattin Gabriele Henkel mit der Frau eines Arbeiters verbinde? Dann hielt zwar irgendeine einen weitschweifigen Vortrag über die Klassenunterschiede, am Schluß aber kam doch meistens heraus: sie ist eine Frau und deshalb, auch, unterdrückt. Ganz befriedigen konnte die Arbeit zwar nie, aber die Mehrheit beließ es dabei. Denn das Liebste, das schwesterliche Wir-Gefühl, wäre sonst vielleicht zerbrochen. Inzwischen hat der Gleichheitsmythos arge Blessuren erlitten, nicht zuletzt, weil die schwarzen Feministinnen in den USA Einspruch erhoben haben. Maßstab der Frauenbewegung, so ihr Einwand, ist die weiße Mittelstandsfrau. Arme, Farbige und Jüdinnen fallen dabei unter den Tisch. Anja Meulenbelt greift die Debatte auf und zeigt, daß der Prozeß der Emanzipation nicht für alle Frauen gleich aussieht. Frauen müssen lernen, die Verschiedenartigkeit untereinander zu erkennen - und zu respektieren. Ein Satz, der sich leicht dahinsagt, in der Praxis bekanntlich mehr als schwerfällt. Ob zwischen Müttern oder Nicht-Müttern, Autonomen oder Institutionsfrauen, Karrieristinnen oder Alternativen, der Graben ist tief und oft werden nur Steine geworfen anstatt Worte gewechselt.
Anja Meulenbelt plädiert für einen vorsichtigen Umgang miteinander, übrigens auch mit Männern, und sie plädiert für eine in Phasen verlaufende Doppelstrategie: Jede unterdrückte Gruppe, ob Frauen, Farbige oder Homosexuelle, müsse zunächst lernen, ihre Probleme allein zu regeln. Im Anschluß daran aber sei es nützlich, sich mit anderen zusammenzutun. Feministinnen sollen sich also auch in gemischte Gruppen begeben und gemeinsam mit dem anderen Geschlecht für gesellschaftliche Veränderungen eintreten. Das wird manche auf die Barrikaden bringen. Schließlich gibt es immer noch welche, für die alles Übel dieser Welt ausschließlich Männersache ist. Und wenn eine Feministin öffentlich verkündet, daß nicht alle Männer potentielle Vergewaltiger sind, dann gibt es in einer bestimmten Szene Zoff. Oder? Nix Neues zur Sexualität
Was Anja Meulenbelt zur weiblichen Sexualität zu sagen hat, ist eigentlich nichts Neues oder gar Sensationelles. Dennoch ist es lesenswert, und zwar nicht nur für Jüngere, die 'es‘ noch nicht wissen. Anja Meulenbelt geht das Thema so unverkrampft und leicht an und räumt mit so vielen Dogmen auf, daß die Lektüre ein wahres Vergnügen ist. So wie sie den Sex beschreibt, ist das eine lustvolle Sache und keine Angelegenheit, die erst im Vorfeld ideologisch geklärt werden muß, bevor wir uns ins Vergnügen stürzen dürfen. Es sei wohl richtig, so sagt sie selbst, „daß wir viel patriarchale Konditionierung in unser Sexualleben mitgenommen haben, doch andererseits bleibt vielleicht sehr wenig auf sexuellem Gebiet übrig, wenn wir uns alles verbieten, was auf irgeneine Weise 'infiziert‘ ist“. Ob Kuschelsex oder Frauenliebe, Sadomaso, Solosex oder auch die ganz gewöhnliche Heterosexualität, es gibt, so Anja Meulenbelt, keine für alle gültigen Rezepte, mit denen 'die‘ Frauen glücklich werden. Und: Frauen haben nicht per se die bessere Sexualität als das andere Geschlecht. Alles, was von Männern käme, pauschal zu verurteilen, davon hält sie nichts. Insofern steht sie der Pornodebatte auch sehr gespalten gegenüber. Für eine Zensur ist sie nicht, wohl aber für Maßnahmen gegen die Anwendung von Gewalt und Zwang sowie für Mittel, die Frauen wehrhafter und unabhängiger machen. Das Buch enthält praktische Tips, informiert über manche Techniken des „Freiens“, wie „es“ hier heißt, und macht Frauen Mut, ihre Lüste zu entdecken und zu äußern. Am spannendsten waren für mich die drei dokumentierten Interviews von Ariane Amsberg, sie hat so offen und schamlos mit den Frauen geredet und die Gespräche protokolliert, wie ich es bisher kaum erlebt habe.
Da erzählt eine ehemalige Drogenabhängige, die Beschaffungsprostitution betrieben hat, von ihren diversen Freiern und gibt zu, daß ihr der Job nicht besonders schwer gefallen sei. Ihr ging es ums Geld, das war alles, und manchmal, selten, hat sie sogar Lust dabei empfunden. Und daß Türken offenbar zu den bei Prostituierten beliebten Männern gehören, wußte ich auch nicht. Sie sind bequem, weil sie schnell sind. „Sie wollen es einfach loswerden“ und damit basta. Heute lebt die Frau mit einer Freundin zusammen, mit der sie mittels künstlicher Befruchtung ein Kind haben will. Eine andere Frau erzählt detailliert, wie und wann sie mit ihrem Mann wieviele Orgasmen bekommt. Für ihn sei das „Freien“ eine körperliche Betätigung, lesen wir da, „wie für andere das Joggen“. Und er „joggt“ viel, auch außerhalb des Hauses, was der Ehe jedoch nichts anhaben konnte. Sie besteht seit 25 Jahren - wie die Frau betont. So kommen selbst chronisch Neugierige bei der Lektüre noch auf ihre Kosten. Übrigens, für diejenigen, die Feministinnen für verklemmt, lustfeindlich und puritanisch halten, sei hier vermerkt, eine niederländische Untersuchung hat ergeben: feministische Frauen haben mehr Spaß am Sex als die antifeministischen!
Anja Meulenbelt: Scheidelinien.
Über Sexismus, Rassismus und Klassismus. Aus dem Niederländischen von Silke Lange. Rowohlt Verlag. 360 Seiten. 24,80DM
Anja Meulenbelt: Frauensexualität. Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Frauenoffensive. 227 Seiten. 26,50DM
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