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Argentiniens Atomprogramm vor dem Kollaps

Argentinische Atombehörde in Finanzschwierigkeiten / Fertigstellung des AKWs Atucha II in Frage gestellt / Hersteller Siemens / KWU, Deutsche Bank und Bangemann sollen 300-Millionen-Kredit für Weiterbau gewähren / Örtliche Lieferanten werden mit Schuldscheinen bezahlt  ■  Aus Buenos Aires Gaby Weber

Das ehrgeizige argentinische Atomprogramm droht im Strudel einer tiefen Wirtschaftskrise mit monatlichen Inflationsraten über 25 Prozent unterzugehen. Nicht nur, daß schon seit Monaten radioaktiv verseuchtes „Schweres Wasser“ aus einem der beiden laufenden Atomkraftwerke des Landes in C'ordoba durch ein Leck in den nahe gelegenen See gelangt, weil die Reparatur aus schlichtem Geldmangel auf sich warten läßt. Vor allem steht der Zeitpunkt der Fertigstellung des zweiten, von der Siemens-Tochter Kraftwerksunion (KWU) errichteten Reaktors Atucha II in den Sternen. In ihrer Not hat sich die staatliche argentinische Atombehörde (CNEA) auf Betteltour begeben: Beim Hersteller Siemens/KWU, der Bundesregierung und der Deutschen Bank will CNEA-Präsidentin Emma Perez Ferreira den stolzen Betrag von vorerst 300 Millionen Mark lockermachen. Bundeswirtschaftsminister Bangemanns Visite in dem südamerikanischen Land in diesem Monat sollte den Durchbruch bringen.

Trotz der desolaten wirtschaftlichen Lage will die Regierung in Buenos Aires die Zinsen für die Auslandsschulden wenigstens zum Teil bezahlen. Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) trugen dazu bei, daß auch bei der CNEA der Rotstift angesetzt wurde. Wie groß das Loch in ihrem Haushalt ist, will die CNEA-Präsidentin der taz nicht verraten. „Kürzungen hat es keine gegeben; der Haushalt wurde lediglich nicht ausreichend der Inflation angepaßt“, erklärt Frau Perez Ferreira. Die konservative argentinische Tageszeitung 'Clarin‘ schätzt die inflationsbereinigten Kürzungen im CNEA-Haushalt auf über 30 Prozent.

Die Fertigstellung des etwa 100 Kilometer von Buenos Aires gelegenen KWU-Meilers Atucha II jedenfalls kann die CNEA aus eigener Kraft nicht mehr gewährleisten. Eigentlich sollte das 700-Megawatt-Kraftwerk bereits seit einem Jahr Strom liefern. Mittlerweile wird dafür als frühester Termin das Jahr 1996 genannt. Offiziell sind die Baukosten bislang mit 2,2 Milliarden Dollar veranschlagt. Da der Reaktor aber gerade zu 40 Prozent fertiggestellt ist, muß mit einer weiteren Milliarden-Investition gerechnet werden. In dieser Situation reiste im Juni eine hochkarätige Delegation der argentinischen Atombehörde auf der Suche nach Krediten durch die Bundesrepublik. Optimistisch gab sich daraufhin schon vor dem Bangemann-Besuch die Wirtschaftszeitung 'Cronista Comercial‘: „Die KWU und die bundesdeutsche Regierung haben der CNEA Finanzmittel zum Weiterbau des Atomkraftwerks angeboten.“

Die ganze Dramatik des finanziellen Desasters schildert Frau Perez Ferreira so: Nicht die Bezahlung von KWU sei das Problem. Die sei durch übliche Hermes Bundesbürgschaften abgesichert. Aber die Unterlieferanten vor Ort, die die Montage und die Bauarbeiten durchführen, die könne man nicht mehr bezahlen. Schon im vergangenen Jahr mußten sie wohl oder übel Schatzbriefe statt Barem akzeptieren. Auf Dauer werden sich die Lieferanten aber darauf nicht einlassen können. „Sie müssen ja ihre Arbeiter am Monatsende entlohnen“, zeigt die CNEA-Präsidentin Verständnis, „deshalb wehren sie sich natürlich dagegen, nur 25 Prozent in Bar und 75 Prozent in Schuldscheinen zu bekommen. Wir brauchen also frisches Geld“.

Da der Kreditmarkt im eigenen Land begrenzt sei, habe man in der Bundesrepublik - erst einmal - um den stolzen Betrag von 300 Millionen Mark gebeten, damit Atucha II weitergebaut werden kann. Doch die Atom-Präsidentin weiß, daß ihr Land bei den internationalen Bankern nicht als besonders kreditwürdig gilt. Neue Kredite von der Weltbank zu erhalten, gilt derzeit als aussichtslos. Dennoch ist sie zuversichtlich. Nachdem sich Präsident Alfonsin bei der Bonner Regierung persönlich für den Kredit verwandt habe, hoffe man nun auf angenehme Überraschungen aus dem Hause Bangemann.

Einen treuen Freund weiß die CNEA bei ihrer Betteltour auf ihrer Seite: Die KWU. Mit der Siemens-Tochter unterhält die CNEA eine gemeinsame Firma, die ENACE, eine Art Verkaufsbüro für Nukleartechnologie, an der die Deutschen mit 25 Prozent beteiligt sind. „Unser Gesprächspartner bei der Kreditsuche in Deutschland ist Siemens/KWU, sei es bei den Firmen, bei der Regierung oder bei den Banken.“ Und schon ist der deutsche KWU-Repräsentant in Argentinien, Goettge, in die Bundesrepublik gereist, um den Kreditabschlüssen vor Ort nachzuhelfen. Gewiß, dieses Vorgehen sei „wenig üblich“, denn „normalerweise hat der Lieferant bestenfalls für den Kredit für die eigene Ware zu sorgen, aber nicht auch noch für unsere lokalen Unterlieferanten“, sagt Frau Perez Ferreira. Sie habe aber „großes Vertrauen in die Überzeugungskraft von Siemens“.

Der Gedanke, daß Atucha II zur Atomruine werden könnte, bringt die CNEA-Chefin an den Rand der Verzweiflung: Ein endgültiger Baustopp bedeute nicht nur den Verlust des bereits investierten Kapitals, auch die Auflösung der noch nicht erfüllten Verträge würde Unsummen verschlingen. „Wir schätzen die Kosten des Stopps auf 70 Prozent der Kosten für die Fertigstellung.“ Das Kilowatt Strom, das Atucha II produzieren soll, werde zwar ohnehin „brutal teuer“ und die Stromherstellung damit „völlig unwirtschaftlich“. Es gebe jedoch „keine Alternative, um für unser Land wenigstens etwas zu retten“.

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