piwik no script img

60 Haftbefehle in Wien

■ Geräumten BewohnerInnen wird Landfriedensbruch vorgeworfen / Solidaritätsdemonstration vor dem Landgericht / Stadtpolitiker bietet Ersatzobjekt am Stadtrand an

Wien (taz) - Nach der gewaltsamen Räumung von zwei Häusern im Wiener Stadtteil Mariahilf, wurde gestern gegen 60 der 67 bei der Räumung festgenommenen Personen Haftbefehl erlassen. Etwa 1.000 Menschen versammelten sich noch am Samstag zu einer Demonstration und zogen an den Ruinen der geräumten Häuser vorbei zum Wiener Landesgericht, in dem ein Teil der Verhafteten einsitzen. Zweimal versuchte die Polizei vergeblich, den Demonstrationszug aufzuhalten. Die Demonstration löste sich schließlich auf, bevor die Polizei einen Kessel um die DemonstrantInnen nach Hamburger Vorbild bilden konnte. Dabei wurde eine Frau durch Polizeiknüppel verletzt.

Bemühungen von prominenten Wiener BürgerInnen und von SympathisantInnen, die Gefangenen freizubekommen, scheiterten bisher ebenso, wie die Suche nach einem neuen Haus. Die BewohnerInnen der geräumten Häuser sollen zumindest teilweise noch gültige Mietverträge gehabt haben. Den seit Freitag Einsitzenden wurde bis Redaktionsschluß am Sonntag der Kontakt mit Anwälten und Verwandten verweigert.

Einem der 67 Festgenommenen gelang nach Informationen der Nachrichtenagentur 'ap‘ die Flucht aus dem Krankenhaus, sechs Leute wurden inzwischen freigelassen. Den 60 einsitzenden Geräumten wird Landfriedensbruch - die erste Anwendung dieses Paragraphen in der 2.Republik - schwere Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen.

Um das Porzellan wieder zu kitten, haben Stadtpolitiker den BewohnerInnen jetzt ein Ersatzobjekt angeboten. Entsprechend deren Status als „gesellschaftliche Randgruppe“ (Vizebürgermeister Mayr), handelt es sich dabei um ein Haus in der Nähe des 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Industriehafens - direkt neben dem „Friedhof der Namenlosen“, wo die Wiener ihre Selbstmörder begraben.

F.n.O.Lehmann

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen