: Brutal vermeidbare Vergewaltigung
■ Nach fünf Jahren Jugendhaft wegen Mordes an einer Frau steht 27jähriger wegen Vergewaltigung erneut vor Gericht / Gefängnis therapierte Frauenhaß mit Tischlerlehre und Einkaufs-Training
Auf der Anklagebank sitzt ein erbärmliches bißchen Mensch und betrügt das Publikum um die voy euristische Lust, bei einem Vergewaltigungsprozeß Zeuge zu sein und sich gleichzeitig wohlig eklig des eigenen Anstands zu vergewissern. Der Angeklagte nuschelt. Mehrfach macht ein gereiztes Publikum, dem eine Hauswurf-Sonntags -Zeitung einen schauerlich monströsen Prozeß versprochen hat, seinem Unmut Luft: „Lauter!“ Der Angeklagte soll der Öffentlichkeit gefälligst vernehmlich und ausführlich erzählen, wie er in der Nacht zum 9.
Dezemer 1987 die 27jährige Kristine T. bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt, mehrfach vergewaltigt, brutal zusammengeschlagen, schließlich eine Zigarette geraucht hat und dann zur Arbeit gegangen ist. Stattdessen blickt der Angeklagte dumpf zu Boden, stammelt stur, sich nicht erinnern zu können, und beteuert immer wieder, daß es sicher so gewesen sei, wie das Opfer und die Anklageschrift behaupten. Ein unspektakuläres Geständnis, zumal die Öffentlichkeit bei der Vernehmung des Opfers ausgeschlossen bleibt.
Neben dem 27jährigen Detlef S. müßten eigentlich einige wortgewandtere Herrschaften sitzen: Psychologen, höhere Beamte des Bremer Justizvollzugsdienstes, Sozialarbeiter, die fünf Jahre Zeit gehabt hätten, sich um den Angeklagten zu kümmern.
Vor sieben Jahren hat Detlef S. eine Frau, mit der er zuvor geschlafen hatte, bis zur Bewußtlosigkeit gewürgt, geschlagen, schließlich mit mehreren Messerstichen tödlich verletzt. Wegen Mordes wurde S. zu acht Jahren Jugendhaft verurteilt. Fünf Jahre hat er abgesessen, ehe er 1986 auf
vielfache gutachterliche Empfehlung vorzeitig entlassen wurde. Schon im damaligen Gerichtsverfahren waren Sachverständigen-Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, daß S.s latenter, in Krisensituationen plötzlich mörderischer Frauenhaß nur durch langfristige Therapien zu kontrollieren sei. Im Gefängnis wurde dem gelernten Autolackierer eine Tischlerlehre angeboten. Daneben ein „Selbstsicherheits -Training“, das der behandelnde Psychologe praktischerweise so organisierte: Während der Therapie-Stunden ließ er S. außerhalb der Gefängnismauern unkontrolliert Besorgungen und Bekanntenbesuche machen.
Auch in diesem Verfahren zeichnet der sachverständige Psychologe das Bild einer „tief gestörten Mutter-Kind -Beziehung“ und betont ein ums andere Mal, daß es sich dabei nicht um eine der bequemen psychologisch-gut achterlichen „Allerweltsfloskeln“ handele und auch nicht um die selbstmitleidige Verteidigungsstrategie eines Angeklagten, der begriffen hat, daß sich ein bißchen „schwere Kindheit“ bei
Gericht immer gut macht.
Vater: kaum bekannt. Mehrere Stiefväter: besser bekannt, vor allem durch Schläge, auch der Mutter. Eigene Kindheit: Krankenhausaufenthalt mit der Diagnose „Unterernährung“ im Säuglingsalter. Die Mutter verliert wegen Vernachlässigung des Kindes das Sorgerecht. Heimaufenthalt. Später Rückkehr ins Elternhaus in eine Bremerhavener Barackensiedlung. Die Mutter hat noch immer keine Zeit und inzwischen genug mit vier Kindern aus zweiter Ehe zu tun. Mit 17 ein paar erste sexuelle Kontakte zu Frauen. Alle könnten S.s Mutter sein. Gelegenheits-Bekanntschaften, die im Bett und regelmäßig in einem Debakel enden. Die erste Frau, die sich über S.s Impotenz lustig macht, bezahlt das auf barbarische Weise mit dem Leben.
Gutachter und Gefängnisleiter haben das schon damals alles fein säuberlich in die Akten geschrieben. Die dritte große Strafkammer will sich Mühe geben, Frauen und Detlef S. künftig wirksamer zu schützen.
K.S.
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