: Maulkorb für den Daimler-Glanz
■ Unmenschliche Arbeitsbedingungen „im Lack“ von Daimler Benz / Lackierer durften nicht wegrotieren / Betriebsrat wegen „ungenehmigter Fragebogenaktion“ verwarnt
Nicht nur Roboter lackieren die prächtigen Marcedes-Autos, sondern auch Menschen. In der Halle 8 in Sebaldsbrück werden die Karossen des 190ers gespritzt. Von Hand müssen die versteckten Ecken behandelt werden, die Türrahmen von innen zum Beispiel. Aber auch, wenn die Roboter geschludert haben, dann müssen die Lackierer aus Fleisch und Blut nachbessern.
Die Luft zum Atmen kommt für sie aus dem Schlauch. Sie wird unter ihren Helm gepumpt, der rundum bis auf die Schultern reicht und vorne Sichtscheiben hat. Ein leichter Überdruck unter dem Helm soll verhindern, daß Lacktropfen in die Atemluft gelangen. Denn der Decklack ist gefählich. Die beiden Komponenten dieses Lacks werden in der Spritzdüse zusammengeführt, und härten innerhalb von fünf Se
kunden aus - auf dem Autoblech ebenso wie in den Lungen der Arbeiter. Dort können sie die Flimmerhärchen verkleben und so die Selbstreinigung der Lunge lahmlegen. Trotz Atemschutz gelangt Lacknebel unter den Helm: er schlägt sich auf den Sichtscheiben und sogar auf den Haaren der Arbeiter nieder.
Das ist das Alltägliche. Wenn die Kollegen in der Halle 8 jetzt „Mörderband“ zu ihrem Arbeitsplatz sagen, dann nicht deswegen. Vielmehr beklagten sie, weil sie nicht wie bisher im Wochenrhythmus „rotieren“ konnten. Sie durften sich also nicht, wie sonst üblich, auf anderen Arbeitsplätzen „erholen“, weil es an eingearbeitem Personal fehlte. Über den Betriebsrat wollten die Kollegen sich bei ihrem Vorgesetzten, dem „Hauptgruppenleiter“ Melzow beschweren. Doch der lehnte ab.
Er riet den Lackierern, ihre Sorgen aufzuschreiben. Das taten sie und benutzten dafür einen Fragebogen der IG Metall. Das Ergebnis veröffentlichte kurz darauf die Daimler -Betriebszeitung „Kollegen von Daimler informieren“: 92 Prozent der Belegschaft hatte Rückenschmerzen, die Hälfte häufige Magenbeschwerden. Einige waren wegen Sehnenscheidenentzündung ausgefallen. Gerhard Kupfer, Betriebsratsmitglied und zuständig für die Halle 8, wurde verwarnt: Wegen einer „nicht genehmigten Fragebogenaktion“. Im Wiederholungsfalle müsse er mit „disziplinarischen Maßnahmen“ rechnen, teilte ihm der Personalchef mit. Eins haben die Lackierer erreicht: Sie dürfen wieder rotieren. Aus der Daimler-Chefetage war gestern keine Stellungnahme zu bekommen.
mw
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