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Fleischer boykottieren Kalbfleisch

■ Berliner Fleischer wollen kein Kalbfleisch mehr verkaufen / Die Branche reagiert erbost auf den Hormonskandal, die Kunden bleiben weitgehend gelassen

„Das ist ein Boykott gegen die Züchter“, erklärt der Obermeister der Berliner Fleischer-Innung, der Weddinger Fleischermeister Uwe Bünger. Am Montag hatte die Innung den 200 Fleischereien der Stadt „empfohlen“, vorerst kein Kalbfleisch mehr zu verkaufen. Erst wenn die Züchter in der BRD ihren Berliner Abnehmern Zertifikate vorlegten, die hormon- und arzneimittelfreie Ware garantieren, wollen die Berliner Fleischer wieder Kalbfleisch hinter die Theke legen. „Wir stehen doch vor dem Kunden“, ärgert sich Bünger. In seiner eigenen Fleischerei hatte er beobachtet, daß „die Leute das gelassener als sonst nehmen“. „Die sind der Umweltskandale müde geworden“, schätzt Bünger. Dem Fleischverkauf insgesamt habe der nordrhein-westfälische Kalbfleischskandal nicht geschadet. Im Durchschnitt verzehrt der Bundesbürger nur noch 1,8 Kilogramm Kalbfleisch im Jahr, das sind gerade mal 1,7 Prozent des Fleischverbrauchs Folge des großen Östrogenskandals vor sieben Jahren.

Fleischer Robert Niebach führt „von Haus aus kein Kalbfleisch“. Er ist vermutlich der einzige Fleischer in West-Berlin, dem der Skandal eher genutzt als geschadet hat: Er verkauft und verwurstet nur Fleisch von Bio-Landhöfen. Nicht nur über starkes „Medieninteresse“ konnte sich Niebach mit seiner „Alternativen Fleischerei“ jetzt freuen, auch den Umsatz seiner drei Filialen konnte er halten, wenn nicht sogar steigern. In der Massentierhaltung dagegen würden Wachstumshormone und Antibiotika nicht nur an Kälber verfüttert, erklärt Niebach, sondern auch an Schweine. Selbst Lamm und Geflügel könne mit Arzneimitteln belastet sein.

„Die Massentierhaltung muß abgeschafft werden“, diese Konsequenz zieht die Tiergartener Gesundheitsstadträtin Wurster (AL) aus dem Hormonskandal. Die Veterinärmediziner ihres Amtes kontrollieren seit einer Woche verstärkt das Kalbfleisch, das im Großmarkt in der Beusselstraße ankommt. Bislang fanden die Tiermediziner nichts Unzulässiges. Kein Wunder: „Daß Hormone oder Arzneimittel gespritzt oder verfüttert wurden, läßt sich eigentlich nur bei lebenden Tieren nachweisen“, bedauert Frau Wurster. Das Fleisch, das im Großmarkt umgeschlagen wird - 60 bis 70 Prozent des Berliner Verbrauchs - kommt im sogenannten „Totversand“ in Berlin an - größtenteils aus Niedersachsen und Nordrhein -Westfalen.

In den städtischen Schlachthof in Spandau dagegen gelangen die Tiere bei lebendigem Leib. Das Fleisch, das den Schlachthof verläßt, macht etwa 15 Prozent des West-Berliner Verbrauchs aus. 176 Kälber, meist aus Bayern, wurden im letzten Jahr hier geschlachtet. „Wir finden aber schon seit Jahren nichts“, erklärt der Geschäftsleiter des Schlachthofes, Professor Götze. Auch die Jungbullen, die zusammen mit Rindern und Schweinen fast ausschließlich aus der DDR an den Schlachthof geliefert werden, seien nie zu beanstanden gewesen.

hmt

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