piwik no script img

Blech „liegt irgendwo rum“

Kronzeuge für Jansens spektakuläre Entscheidung ist ein Gutachten des TÜV Norddeutschland. Mit den in diesem Gutachten aufgelisteten Mängeln hat der neue schleswig -holsteinische Energieminister seine Entscheidung begründet, Brokdorf vorläufig nicht mehr ans Netz zu lassen. Doch der Kronzeuge selbst ist anderer Meinung: Die Entscheidung Jansens stehe „im Widerspruch zu unseren gutachterlichen Aussagen“, sagte gestern der Hauptabteilungsleiter des TÜV, Ulrich Kaun, zur taz. Die Mängel konnte Kaun bestätigen, doch anders als Jansen hält man sie beim TÜV für „sicherheitstechnisch unbedenklich“ (TÜV-Chef H.Witt). Dennoch will sich der TÜV nicht gegen den Minister stellen. Die Bewertung der Mängel sei letztlich allein Jansens Entscheidung, er trage die politische Verantwortung.

Welches sind nun die festgestellten Mängel? Es geht um mehrere Blechteile, fünf Millimeter lang und zwei Millimeter breit. Vier dieser sogenannten Brennelement-Abstandshalter sind an jedem der 193 Brennelemente von Brokdorf montiert. Sie sollen die exakte Positionierung sicherstellen und verhindern, daß zwei Brennelemente unmittelbar Kontakt bekommen. Wie der TÜV jetzt in seinem Routine-Gutachten beim Austausch eines Teils dieser Brennelemente feststellte, waren bei 18 Elementen diese Abstandshalter zum Teil „abgeschert“ (abgerissen). 16 Elemente wurden deshalb aussortiert. Bei zweien scheinen dem TÜV nach Aussage von Ulrich Kaun die Beschädigungen am Abstandshalter „sicherheitstechnisch nicht maßgebend“. Sie wurden wieder in den Reaktorkern eingesetzt.

Relevanter als die Beschädigungen selbst sind jedoch die abgerissenen Blechteile, die im Reaktorkern „irgendwo rumliegen“ (Kaun). Vermißt werden drei abgebrochene Teilchen und ein Federstück. Unter Umständen kann sich solch ein Blechteilchen in dem Kühlkanal eines Brennelements einnisten und die Kühlung an dieser Stelle verhindern, was zu einer erhöhten Aktivität führt. Jansen sieht die Gefahr, daß dadurch mehr Radioaktivität ins Kühlwasser gelangt. Der TÜV hält dies für „unwahrscheinlich“, aber nicht unmöglich, sieht allerdings auch dann keine Gefahr.

Zweiter Punkt der festgestellten Mängel ist ein abgebrochener Zentrierstift. Jedes Brennelement besitzt im oberen Kerngitter zwei dieser Zentrierstifte, die ebenfalls für die millimetergerechte Positionierung der Brennelemente sorgen. Jansen hält den Bruch dieses Stiftes für ein Alarmsignal. Er verlangt aufgrund des Defekts, daß auch die übrigen 286 Stifte mit Ultraschall auf Rißbildungen untersucht werden. Dies ist in Brokdorf aber technisch nicht möglich. Der TÜV hält dies wiederum zu diesem Zeitpunkt für „nicht notwendig“. Die primären „Schutzziele“ Abschaltbarkeit und Kühlbarkeit - seien in jedem Fall gewährleistet, Brokdorf sei sicherheitstechnisch unbedenktlich.

Dies hat das Öko-Institut Darmstadt mehrfach in Frage gestellt - zuletzt in einem Gutachten für den Hamburger Senat. Das „sicherste Atomkraftwerk der Welt“ (Uwe Barschel bei der Inbetriebnahme) erfüllt demnach nicht einmal den sonst üblichen Sicherheitsstandard. Brokdorf gehört demnach zu den modernen AKWs der achtziger Jahre, die sicherheitstechnisch bereits abgemagert sind.

Wichtigster Punkt: Brokdorf ist nicht mehr gegen den „einfachen“ GAU ausgelegt, den Abriß der Hauptkühlmittel -Leitung. Fangseile, Schutzwände, zusätzliche Verankerungen und Stoßdämpfer, die die gerissene und unter extrem hohen Druck stehende Rohrleitung (150 bar Wasserdruck) abfangen könnten, gibt es in dem Atommeiler in der Wilstermarsch nicht mehr. Und der Einsatz von „Hochabbrand-Brennelementen“ vergrößert das radioaktive Inventar und damit das Gefährdungspotential der Anlage.

Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen