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Hormonskandal: Beamte beteiligt?

■ Staatsanwaltschaft liegen Hinweise auf „undichte Stellen“ bei Behörden vor / Hormonspuren in Kälber von Großmäster Wigger bestätigt / Bund prüft Strafrahmen des Lebensmittelrechts / Neuer Hormonskandal im Erftkreis

Düsseldorf (taz) - Der Skandal um die hormonverseuchten Kälber weitet sich mittlerweile zum Behördenskandal aus: In Nordrhein-Westfalen untersucht jetzt die Staatsanwaltschaft, ob die Kälbergroßmäster von den Behörden unterstützt worden sind. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Münster, Klaus Deupmann, erklärte am Mittwoch gegenüber der taz, daß ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts „der Verletzung der Amtsverschwiegenheit“ eingeleitet worden ist. Der Staatsanwalschaft lagen Hinweise vor, daß es bei den Polizei - und Veterinärbehörden im Regierungsbezirk Münster möglicherwiese „undichte Stellen“ gegeben hat, die die im Verdacht krimineller Mastmethoden stehenden Kälbermäster Felix Hying (50) und Bernhard Wigger (56) vor Durchsuchungsaktionen gewarnt haben. Auslöser dieses Ermittlungsverfahrens ist das Interview eines Mitarbeiters der Firma Hying in den 'Tagesthemen‘ vom Dienstag abend.

Dort hatte der nur verdeckt gezeigte Hying-Mitarbeiter behauptet, daß die Firma vor Durchsuchungsaktionen der Polizei „etwa 20 oder 30 Minuten vorher“ von ihm nicht bekannter Stelle informiert worden sei.

Unterdessen sind bei den Tieren des Südlohner Kälbergroßmästers Wigger Spuren von verbotenen Masthilfsmitteln nachgewiesen worden. Wie der NRW -Landwirtschaftsminister Klaus Matthiesen (SPD) am Mittwoch mitteilte, hat die Untersuchung von 40 Kälbern aus dem Bestand des ins Zwielicht geratenen Großmästers Wigger, der sich im Gegen Fortsetzung auf Seite 2

Interview auf Seite 5

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satz zu Hying nach wie vor auf freiem Fuß befindet, „positive Befunde“ auf die Behandlung mit Wachstumshormonen gebracht. Laut Matthiesen haben die Laboruntersuchungen eindeutig ergeben, daß den Tieren die verbotenen Hormone Östrediolbenzoat und Testosteron-Cypionat verabreicht worden sind.

Das Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium teilte mit, daß die Kälber des Großmästers Wigger - Schätzungen seines Bestandes in der Bundesrepubklik schwanken zwischen 8.000 und 14.000 Tieren - weiterhin auf Hormone und das als „Hustensaft“ bekannte Wachstumspräparat Clenbuterol untersucht würden. „Sollte ich durch einzelne Meßergenbnisse belastet werden, kann die Analyse nicht stimmen“, sagte Wigger zu den angekündigten Untersuchungen.

Wiggers Aussage, seiner Firma gegenüber seien von Seiten der Veterinärbehörden niemals Beanstandungen gemacht worden, stehen der taz vorliegenden Informationen aus dem Regierungspräsidium in Münster entgegen, wonach bei dem Kalbgroßmäster im westfälischen Südlohn bei Kontrollen wiederholt „Unregelmäßigkeiten“ in seinen Ställen aufgedeckt und diese auch bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt worden seien.

Der bereits in der vergangenen Woche verhaftete Kälbergroßmäster Felix Hying, der wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes ins Justizkrankenhaus Fröndenberg eingewiesen worden ist, hat am Mittwoch über seine Anwälte Haftbeschwerde eingelegt. Die Staatsanwaltschaft Münster hat dieser Beschwerde zwischenzeitlich widersprochen.

In einem Interview der taz hat der ehemalige NRW -Landwirtschaftsminister Klaus-Otto Bäumer die jetzige Landesregierung kritisiert. Die Kontrollsituation bei der Tiermast in Nordrhein-Westfalen hat sich nach dem ersten großen Hormonskandal von 1980 weiter verschlechtert, erklärte Bäumer. Damals seien unter dem populären Stichwort „Entbürokratisierung“ die Kontrollen eingeschränkt worden. Darüber sei es zwischen ihm und Ministerpräsident Rau zu „hartnäckigen Auseinandersetzungen“ gekommen. Den schließlich ausgehandelten Kompromiß halte er, Bäumer, „heute noch für einen grundsätzlichen Fehler“, zumal sich an der unbefriedigenden Situation auch unter seinem Nachfolger Klaus Matthiesen nichts geändert habe.

Gestern hat sich auch das Bundeskabinett mit dem Hormonskandal beschäftigt. Ergebnis: Die Bundesregierung will prüfen, ob die Strafrahmen der einschlägigen Gesetze ausreichen. Bonn will sich auch für eine schnellere Harmonisierung der Regelungen über Tierarzneimittel in der EG einsetzen. Außerdem wurde der Entwurf eines Strukturgesetzes angekündigt, das die Stärkung des bäuerlichen Familienbetriebes zum Ziel haben solle. Im Ernährungsministerium soll außerdem eine Verordnung vorbereitet werden, die Mindestvorschriften für die Größe von Ställen zur Kälberhaltung vorsehe.

In Nordrhein-Westfalen ist unterdessen ein weiterer Hormonskandal entdeckt worden. Im Erftkreis sperrten die Behörden nach eigenen Angaben nach Hormonfunden 361 Kälber eines Bauern aus Elsdorf für den menschlichen Verzehr. Das Fleisch von 58 weiteren Tieren gelangte jedoch wahrscheinlich schon in den Handel. Der Sprecher der Kreisbehörde, Peter Metternich, sagte AP am Mittwoch, bereits am vergangenen Freitag seien bei geschlachteten Tieren Injektionsspuren entdeckt worden. Untersuchungen beim Veterinäramt in Arnsberg hätten dann den Nachweis erbracht, daß die Kälber mit einem wachstumsfördernden Hormoncocktail behandelt worden seien.

DDs Fleisch von 58 Tieren gelangte allerdings noch in den Handel. Nun werde nach dem verseuchten Fleisch gesucht.

Kalbfleisch ist in der BRD nach Darstellung der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle nahezu unverkäuflich geworden.

U. Sieber/J. Nitschmann

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