: MACHOS UND MÄTZCHEN
■ „Europa und der Stier“ von der Berliner Kammeroper
Gerangel, Geschubse, Gekloppe: Es begann mit einer ausgiebigen pantomimischen Szene um den ewigen Streit in einer Gruppe halbgargekochter Machos. Das erinnerte mich an die ersten Theaterproben, denen ich zugesehen habe: Schillers Räuber. Der Räuberhaufen wirkte, als hätten sie viel lieber eine Bande aus der Westside-Story gespielt, und ständig versuchte einer dem Regisseur einzureden „Und kann ich jetzt nicht ganz lässig mein Klappmesser hinter dem Rücken aufspringen lassen?“ Die Versuchung, den starken Mann zu markieren, muß unglaublich groß sein. Bei „Europa und der Stier“ durfte ihr der ganze Chor nachgeben. Denn dieser rabiate Haufen, das sollten die zerstrittenen Kinder Europas sein, leiden an gestörter Identitätsbildung, weil von einem Gott und einem Menschen abstammend, und also Sinnbild der No -Future-Generation und der untergehenden Zivilisation. (Weiß ich aus dem Programmheft.) Daß sie sich ständig um ihre Abstammung und ihre Rechte stritten, war somit die kulturkritische Dimension der Oper, denn irgendetwas Aktuelles muß man der Nacherzählung eines Mythos schließlich unterlegen. (Was der Mythos um den Stier bedeutet, scheinen die westlichen Intellektuellen bei all ihrer Bildung nun doch nicht zu wissen; wie wär's mal mit einem bißchen von C.G.Jungs Archetypenlehre? - d.S.)
Es gab viel Aktion, Unterhaltung und Rätselspiele: Was wird in diesem Bühnenelement, Kostüm, in dieser musikalischen Figur und in jener sprachlichen Verfremdung zitiert? Der Chor aus den Kindern Europas, die die ganze Geschichte erzählen, war ständig am machen, gruppierte sich unermüdlich um, staffelte sich pyramidal, hopste im Kreis, warf sich auf die Erde und was nicht alles. Und wenn sie doch mal Ruhe gaben, dann drehte sich aber mindestens die Drehbühne, dafür hat man sowas ja schließlich nach dem endlichen Einzug ins Hebbeltheater. Dort, wo sich der Bühnenschaffende bisher mit einer Hasenpfote auszustaffieren pflegte, tat es hier keiner mehr unter einem ganzen Kaninchen.
Das Publikum belohnte mit Gelächter die erotischen Anzüglichkeiten des Libretto von Rolf Schneider. Man soll also bloß nicht glauben, seit Offenbachs Operetten sei die Geilheit der Götter ein alter Hut. (Ich glaube, daß die Lust der Götter nur in westlichen pervertierten Augen obszöne Geilheit ist - d.S.) Die Musik von Helge Jörns gab ihr Letztes und Bestes zur Steigerung der Lust und erreichte ihren schwellenden Höhepunkt, wenn Europa mit dem Stier endlich eins wird. Der Stier, den hat man ganz ohne Berührungsängste mit dem Trivialen auf die Bühne gestellt: In seiner Rolle durften zwei Body-Builder mit Meisterschaftstiteln ihr knackiges Operndebut geben.
Natürlich gäbe es da an feinsinnigen Details und Geistesblitzen haufenweise noch viel zu interpretieren, denn dumm war die Truppe vom BKO noch nie und zur korrupten Erfüllung eines Senatsauftrages war dies ihre erste Gelegenheit, aber die ständige Dramatik der Musik, das Gerenne auf der Bühne, das Tempo der Revue enthebt einen dieser Notwendigkeit. Da fällt auch nicht so auf, daß eigentlich keiner der Macher so recht zu wissen schien, warum er nun gerade diese Geschichte auf die Bühne bringen sollte.
Katrin Bettina Müller
„Europa und der Stier“, Hebbeltheater, Sa und So 20 Uhr.
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