Die Enthüllung des Enthüllungsjournalismus

Die Journalistin Deborah Davis identifizierte den Watergate-Informanten „Deep Throat“ / Sie bewies Zusammenarbeit zwischen 'Washington Post‘ und CIA 'Washington Post'-Herausgeberin Katharine Graham ließ das Buch einstampfen / Aber eine Neuauflage enthält zusätzliche Daten über die CIA-Connection  ■  Von C. Wiegand und H. Suhr

Zivilcourage ist die wohl herausragendste Eigenschaft der US -Journalistin und politischen Autorin Deborah Davis (38) aus Washington. Und eben damit wurde sie zum ungeliebten Kind der Washingtoner Szene, als sie nämlich mit ihrem Buch Katharine The Great über die US-Medienmagnatin und 'Washington Post'-Verlegerin Katharine Graham Licht in das Dunkel des publizistischen Machtzentrums trug.

Debbie Davis enttarnte vor allem - ohne letzten Beweis aber auch ohne Dementi des Betreffenden - jene ominöse Watergate-Schlüsselfigur „Deep Throat“ als den CIA-Agenten und Nixon-Vertrauten Richard Ober und wies nach, wie und warum die CIA das einflußreiche Flaggschiff der mächtigen Verlegerin zum Abschuß Nixons benutzt hatte. Dabei offenbarte Debbie Davis auch die Machenschaften der 'Post‘ mit deren eigener, stolz geführter Waffe, dem „investigative journalism“ (Enthüllungsjournalismus). Katharine Graham sorgte dafür, daß das Buch eingestampft wurde. Acht Jahre später erschien nun in den USA die zweite - erweiterte Auflage von Katharine die Große.

Graham Springer + Dönhoff

Katharine Graham ist wie eine Mischung aus Axel Cäsar Springer und Marion Gräfin Dönhoff. Ihr Imperium umfaßt heute neben der 'Washington Post‘ (Auflage 800.000) und dem Nachrichtenmagazin 'Newsweek‘ zahlreiche Provinzzeitungen, über 50 Radio- und Fernsehstationen und die Hälfte der in Paris verlegten 'International Herald Tribune‘. Durch die Aufdeckung des Watergate-Skandals rückte die publicityscheue Katharine Graham ins Licht der Öffentlichkeit als die Frau, die den Präsidenten zu Fall gebracht hatte.

Der damalige US-Präsident Richard Nixon hatte 1972 in seinem Kampf um die Wiederwahl die sogenannte „Plumbers Unit“ (etwa: Rohrschlosser-Einheit) zusammenstellen lassen: Männer fürs Grobe, die in Washington in das demokratische Wahlkampfquartier im Watergate-Hotel einbrachen, um auf derart kriminelle Weise Dokumente für den republikanischen Kandidaten zu beschaffen. Nixons enger Vertrauter, jener Richard Ober alias „Deep Throat“, war zugleich Spitzenagent der CIA und Direktor der berüchtigten „Operation Chaos“, einer konzertierten Aktion sämtlicher US-Geheimdienste, die seinerzeit verfassungswidrig gegen amerikanische Vietnam -Kriegsgegner im eigenen Land arbeitete.

Nixon beging damals den Fehler, sich mit den beiden Geheimdiensten FBI und CIA anzulegen und sie unter eigene Kontrolle bringen zu wollen. Damit war er zur unkalkulierbaren Figur geworden - das Komplott nahm seinen Lauf. Richard Ober, so Debbie Davis, hatte im Keller des Weißen Hauses einen eigenen Schreibtisch. „Jeden Tag besuchte Ober zuerst einmal Nixon, um ihm (über die 'Operation Chaos‘) Bericht zu erstatten“, fand Davis heraus. „Er war die einzige Person, deren Anwesenheit nicht schriftlich vermerkt wurde, besaß also Nixons volles Vertrauen. Und er war der einzige Geheimagent, der von sämtlichen Diensten Informationen bekam, eines der großen Geheimnisse um 'Deep Throat‘: Wie kam er an Informationen, die nur dem FBI zugänglich sein konnten oder nur der CIA?“

Buch eingestampft

Davis‘ Erstveröffentlichung 1979 ließ Ober innerhalb von zwei Wochen nach Erscheinen des Buches zurücktreten. Aber das mit großen Vorschußlorbeeren bedachte Werk - Debbie Davis wurde von Erstverleger William Jovanovich selbst für den renomierten „American Book Award“ vorgeschlagen - lag nach drei Jahren harter Arbeit ganze sechs Wochen in den Buchläden aus, ehe es quasi über Nacht eingestampft wurde. Für die gesamte erste Auflage von 25.000 Exemplaren hatten bereits Vorbestellungen vorgelegen, 6.000 Stück waren in der kurzen Zeit verkauft worden, neun Verlage wetteiferten um die Rechte zur Taschenbuchausgabe und das große Verlagshaus selbst, Harcourt Brace Jovanovich (HBJ) hatte es schon oben auf die Bestsellerliste für Sachbücher geträumt. Welch kometenhafter Start für eine Erstautorin!

Aber der Komet erlosch von einem Monat zum anderen. Drei Jahre Arbeit wurden in drei Stunden vernichtet. Debbie Davis war damit zum „unpublishable“ gestempelt, zu einer Unperson der Wort-Gilde, von der man sich fernzuhalten hatte, wollte man Prestige und Umsatz nicht belasten.

Ein massiver Drohbrief von 'Washington Post'-Chefredakteur Benjamin Bradlee an ihren damaligen Lektor Gene Stone hatte genügt, um Verleger William Jovanovich eiligst zum Kotau vor Kathy Graham zu bewegen. Er werde Stone zwar nicht der Verleumdung anklagen, wetterte damals der 'Post'-Boss, ihn jedoch „der totalen Verantwortungslosigkeit bezichtigen, Ihren Freunden sagen, sich von Ihnen wie von einem Pestkranken fernzuhalten, Fräulein Davis zur Idiotin stempeln und Ihren Verlag in die besondere kleine Gruppe jener Verleger einreihen, die sich einen Dreck um die Wahrheit scheren“.

Daß dies das Signal zum Einstampfen gewesen war, erfuhr die Autorin erst Jahre später. „Das Schlimmste daran ist“, sagt die ehemalige Studentin der politischen Wissenschaften, „daß man so gut arbeitet, recherchiert und schreibt, wie man nur kann. Und da geht jemand her und sagt, alles sei falsch, nichts, aber auch gar nichts stimme. Dann meinst du, du kannst nicht mehr schreiben, weil dein Urteilsvermögen so verzerrt ist, daß du nicht mehr zu genauen Gedanken fähig bist.“ Doch die Wahrheit war auf Debbie Davis‘ Seite, wie sich drei Jahre später (1982) erweisen sollte. Der vertragsbrüchige Verleger Jovanovich zahlte nach ihrer Klage außergerichtlich eine Entschädigung von 100.000 Dollar - ein kleiner Sieg für die Pressefreiheit.

Keine Systemkritik erlaubt

„Die 'Washington Post‘ kann sehr gut Skandale aufdecken, sobald ein Politiker korrupt wird und Geld mißbraucht“, meint Davis. „Aber wenn es um eine systematische Kritik geht, um eine systematische Analyse der Probleme innerhalb dieser Machtstruktur, dann befaßt sie sich gar nicht erst damit. Als Eugene McCarthy 1968 als Präsidentschaftskandidat und Vietnam-Kriegsgegner auftrat, stellte die 'Post‘ ihn als Idioten hin.“ Dasselbe mache die gefürchtete Pressezarin jetzt mit Jesse Jackson. „Katherine Graham sagte in einer Rede vor Universitätsabsolventen, Jackson werde einzig und allein aufgrund seiner Hautfarbe beachtet und rede nur dummes Zeug. Für Menschen mit grundlegender Kritik an der etablierten Macht ist in der 'Washington Post‘ kein Platz, es sei denn, man will sie lächerlich machen.“

Die Zusammenarbeit der 'Washington Post‘ mit der CIA hat Geschichte. Schon Anfang der 50er Jahre verknüpfte Katharine Grahams Mann Philip die Interessen von 'Post‘ und CIA bei der „Operation Mockingbird“, einem nachrichtendienstlichen Sondereinsatz amerikanischer Journalisten. Damit begründete Philip Graham, der selbst im Zweiten Weltkrieg im Fernen Osten geheimdienstlich eingesetzt worden war, jene wohl gepflegte Tradition, deren spätere Enthüllung durch Debbie Davis der großen Katharine so gar nicht ins Konzept paßte. Katharine Grahams Vater, Eugene Isaac Meyer, einer der reichsten Männer der Staaten, brachte die 'Washington Post‘ 1933 für 825.000 Dollar in Familienbesitz.

Als er 1946 zum Präsidenten der Weltbank ernannt wurde, übergab er seinem Schwiegersohn Philip Graham den Posten des Chefredakteurs. 1963 jedoch nahm sich der an manischen Depressionen leidende Mr.Graham das Leben, und so übernahm die Witwe den verwaisten Posten: Mit 46 Jahren arbeitete sie sich nach 20Jahren als High-Society-Gastgeberin und Mutter von vier Kindern allen Unkenrufen zum Trotz innerhalb kürzester Zeit in das neue Metier ein.

Der frühere Spitzenagent Richard Ober war, wie Debbie Davis auch aufdeckte, einstiger Kommilitone von 'Post'-Chef Benjamin Bradlee. Daß der Chefredakteur nicht nur diese Verbindung, sondern auch jegliche eigenen CIA-Kontakte hartnäckig leugnete, ließ die Autorin aufhorchen und nach dem Einstampfen des Buches ihre Recherchen erneut aufnehmen. Im vergangenen Jahr erschien schließlich die neue, erweiterte Ausgabe. Chefredakteur war in der CIA

Nach drei weiteren Jahren der Recherche hat Davis ihren Band um Ben Bradlees Geschichte als Informationsagent in Paris ergänzt. Inmitten der Wirren der Antikommunismus-Kampagnen (McCarthy-Ära) wurde er 1952 in seiner damaligen Position als stellvertretender Presseattache der US-Botschaft von der CIA damit beauftragt, Beweismaterial gegen das der Atomspionage verdächtigte jüdische Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg zu sammeln. Das gelang ihm so vorzüglich, daß fast die gesamte Weltpresse das durch geheimdienstliche Kanäle geschleuste Material als Grundlage ihrer Berichterstattung nahm. Die Rosenbergs wurden 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.

Auch der Watergate-Enthüller Bob Woodward, der von 1972-74 gemeinsam mit Carl Bernstein in über 200 Artikeln über Watergate berichtet hatte, gehörte einmal dem Geheimdienst an. Woodward wurde dem „Topsecret„-Spionagedienst der Marine im Pentagon angegliedert. „Er hatte einen Codenamen, behauptete jedoch immer, er mache eine bescheidene Karriere. Aber diejenigen, die ihn kannten, sagten, daß er jederzeit im Weißen Haus ein und aus ging“, zeigte Debbie Davis auf. Und „Deep Throat“ sei für den jungen, in Washington zugereisten Woodward eine Art weiser Lehrer gewesen, wie letzterer selbst in seinem Buch Der Watergate-Skandal schreibt - ohne den Topagenten Richard Ober je beim Namen zu nennen.

Ob Woodward und sein Kollege Bernstein damals wußten, daß sie lediglich als Werkzeug von der CIA zum Sturz des Präsidenten gebraucht wurden? „Du weißt nie, warum jemand dir Informationen liefert. Du kannst wahrscheinlich herausfinden, ob sie stimmen oder nicht. Aber du weißt immer noch nicht, ob du damit die ganze Geschichte kennst und welchem Zweck es dient, daß sie gerade jetzt herauskommt“, sagte Debbie Davis vor kurzem in Bonn.

Gefragt, was die Autorin von der großen Katharina nach zehn Jahren Recherche halte, antwortete Davis: „Ich finde sie sehr hart und kalt. Meiner Meinung nach hat sie die Werte ihres Vaters betrogen, der die Zeitung als humanistische Kraft sehen wollte. Und sie (Graham) betreibt eine rücksichtslose Arbeitspolitik: sie zerschlägt Gewerkschaften. Wenn sie ihre Lebensfreude nur durch ihre Existenz als harte Geschäftsfrau definiert, dann tut sie mir eigentlich leid, denn meiner Meinung nach ist das kein sehr großartiges Leben.“

Mit 'Irangate‘ und Reagans 'Rohrschlossern‘ von Oliver North bis Edward Meese hätte Kathy Graham beinahe wieder einen US-Präsidenten gestürzt. Dessenungeachtet versteht sich der jetzige amerikanische Präsident mit der Pressezarin schon viel besser als der einst von ihr gestürzte: Im vergangenen Jahr war Ronald Reagan der Prominenteste unter den Gästen, die sie zur Feier ihres 70.Geburtstages geladen hatte. Man feierte hinter verschlossenen Türen, Graham -Tennispartner George Shultz war ebenso mit von der Partie wie ein hoher Gast aus der Bundesrepublik: Helmut Kohl.

Deborah Davis, „Katharina the Great“ - Katharina Graham and the Washington Post, National Press, Bethesda, Maryland, 1987.

(Die Autorin sucht übrigens noch einen Verleger in der BRD.)