: Banges Warten auf die Fohlenelf
DFB-Pokal: Borussia Mönchengladbach - Schalke 04 1:2 / Gladbachs Trainer wortkarg, Manager traurig ■ Vom Bökelberg Ulli Kulke
Wer da meint, es sei schon grausam, mitansehen zu müssen, wie nahe totaler Triumph und tiefste Trauer nach dem Schlußpfiff auf dem Spielfeld liegen, der möge sich bisweilen in die anschließende Pressekonferenz begeben. Da kann schon mal eine Stimmung herrschen wie im Gerichtssaal kurz vor einem Todesurteil. Während Schalkes Trainer Horst Franz am Mittwoch abend Mühe hatte, den sicher unerwarteten Sieg in sachliche Worte, die seiner kühlen Art entsprechen, zu packen, hätte man in den langen Sekunden vor und nach dem Kurzstatement von Trainer Wolf Werner die berühmte Stecknadel auf den Teppichboden des vornehmen Empfangsraumes am Bökelberg fallen hören können. Ein Satz, der unter vielem Räuspern und mit hörbar trockener Zunge herauskam („Sie können sich sicher vorstellen, wie es mir schwerfällt...“), und es dauerte eine ganze Zeit, bis der tieftraurig dreinblickende Manager Grashoff merkte, daß Werner bereits fertig war. Traurig dürfte Grashoff („Uns stehen schwere Zeiten bevor.“) deshalb sein, weil nun der erste Trainerrausschmiß seiner Managerlaufbahn bevorsteht. Sein Schlußwort (“...dann werden wir uns wohl größtenteils am Samstag wiedersehen.“) schloß jedenfalls auch eine schnelle Entscheidung nicht aus.
Draußen war derweil für die Fans aus dem Gebiete der Schwerindustrie die für den Ruhrpott so wunderschöne Wirtschaftswunder-Nachkriegszeit wiedergekommen. Sie faßten die dieser Tage geltende Devise des Erstligaabsteigers Schalke in Noten: „Aufbau, Aufbau, Ahaufbahau...“ Da sind die Anwohner des Bökelbergs nach Niederlagen der Schalker sicher Schlimmeres gewohnt. Es hat schon etwas Bizarres an sich, wenn der gemeine Plebs aus dem Pott an den mitunter millionenschweren Häusern des eleganten Bökelberg-Viertels vorbeiskandiert.
Der Wiederaufbau in Richtung Erstligaaufstieg sollte für die Schalker in einer solchen Form durchaus möglich sein. Der Mann des Abends bei Schalke hieß Ingo Anderbrügge. Er schlug gefährliche Pässe, stand im Sturmzentrum und half auch mal hinten aus, wenn's sein mußte. Schließlich schoß er das entscheidende erste Tor. Bei Gladbach stach niemand heraus, außer Criens und Hochstätter im Chancenvergeben. Insgesamt war der Sieg des Zweitligadreizehnten gegen den Erstligadreizehnten eine bloße Frage von Kampfgeist und Aufbau-Stimmung.
Am Bökelberg muß dennoch keine Weltuntergangsangst aufkommen. In der Saison 1994/95 darf man sich große Hoffnungen machen auf die Meisterschaft. Dann sind die Spieler der E-Jugend, die am Mittwoch im Vorspiel ihre Gäste aus dem Ruhrpott glatt mit 8:1 abfertigten, im besten Fohlenalter. Wer diesen Spielwitz, die Kombinationsfreude und die langen Pässe beobachtete, der sah sie alle vor sich: Wimmer, Heynckes, Rupp, Simonsen... Ein großer Blonder mit langen Haaren trabte schon mit langen Schritten über den Platz. Die sich mit acht Toren abzeichnende Heimstärke läßt denn auch hoffen, daß im Europacup 95/96 endlich „Real“ gepackt werden kann, wenn auch diesmal noch die meisten Tore deshalb fielen, weil der Essener Keeper nicht bis an die Latte springen konnte. Aber man muß eben die Schwächen des Gegners erkennen.
TORE: 0:1 Anderbrügge (65.), 0:2 Luginger (76.), 1:2 Criens (79.)
Weitere Ergebnisse: Union Solingen - Horst-Emscher 5:1 (DFB -Pokal), 1. FC Köln - VfL Bochum 1:0 (Bundesliga).
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